Als "beste WM aller Zeiten" bezeichnet die britische Webseite "Unilad" das gerade zu Ende gegangene Turnier in Russland. Nun ist ein solches Urteil nicht selten vom erfolgreichen Abschneiden der eigenen Nationalmannschaft geprägt. Den Deutschen wird die WM 2014 dementsprechend immer in bester Erinnerung bleiben, auch wenn die Partien jener Endrunde ohne deutsche Beteiligung längst in Vergessenheit geraten sind.
Deshalb mag die Bezeichnung "beste WM aller Zeiten" immer ein bisschen übertrieben klingen. Aber Russland 2018 war auch bei weitem nicht so schlecht, wie viele Fans und Experten seit Tagen im Quengelton bemängeln. So reihte ARD-Experte Thomas Hitzlsperger eine Unmutsbekundung an die nächste, weil ihm das Niveau der Partien zu schwach war.
WM: Arnd Zeiglers Gedanken treffen einen Nerv
Und TV-Moderator Arnd Zeigler erhielt für seine "Gedanken zur WM" bei Facebook knapp 10.000 Likes. In einem langen Facebook-Post beklagte er, dass die meisten Teams kaum Fußballspielen wollten, dass kaum Traumtore erzielt würden, dass es zu viel Theatralik und Schauspieleinlagen geben würde. Zeigler geht gar so weit zu sagen: "Wäre Fußball immer so wie während der Gruppenspiele dieser WM, wäre ich vermutlich nie Fußballfan geworden. Popmusik ist auch ein schönes Hobby."
Bei vielen Fans trifft der renommierte Fußballjournalist damit durchaus einen Nerv. Aber die Frage ist doch: War es jemals anders in den letzten zwei Jahrzehnten? Die klare Antwort: nein. Die WM 2002 in Japan und Südkorea bot beispielsweise so katastrophalen Fußball, dass Deutschland mit einer rustikalen Rumpeltruppe das Endspiel erreichen konnte; die WM 2006 war in sportlicher Hinsicht vermutlich das unspektakulärste Turnier aller Zeiten; und an Südafrika 2010 erinnern wir uns auch nur wegen der zwischenzeitlich berauschenden Auftritte der deutschen Elf so gerne.
Zwar schreibt Zeigler in seinen Facebook-Gedanken: "Es liegt nicht am Abschneiden Deutschlands. Das passt wie der ganze Rest komplett zu einem großen, ganzen Gesamtbild." Das mag für ihn so stimmen - und doch ändert es nichts daran, dass die Rezeption eines WM-Turniers immer durch die patriotische Brille betrachtet wird. Deshalb waren die Deutschen von dieser WM auch tendenziell eher genervt, während die Engländer lange nicht mehr so besoffen waren vor Begeisterung.
Wir sollten deshalb alle für einen Moment die Deutschland-Brille abnehmen, um festzustellen: Diese Fußball-WM 2018 in Russland bot viele Geschichten, viele Besonderheiten, und viele sportliche Highlights.
Zum Beispiel: ein Eröffnungsspiel mit fünf Toren und ein Finale mit sechs Toren (wann hat es das in dieser Kombination jemals gegeben?); dramatische Spiele wie das 3:3 zwischen Spanien und Ronaldo oder Frankreichs 4:3 gegen Argentinien; Favoritenstürze (u. a. Deutschland und Spanien) und tapfere Außenseiter (u. a. Japan und Schweden); brillante individuelle Performances von Künstlern wie Luka Modric, Eden Hazard oder Kylian Mbappé; märchenhafte Raritäten wie das erste erfolgreiche Elfmeterschießen einer englischen Nationalmannschaft oder den Finaleinzug der feurigen Kroaten; und nur ein einziges torloses Unentschieden in 64 Spielen!
Wir sollten die Erinnerungen zu schätzen wissen
Kurz gesagt: Es wurde eine ganze Menge von dem geboten, was diesen Sport so konkurrenzlos populär macht.
Wir sollten diese Erinnerungen zu schätzen wissen und mit dem Turnier in Russland nicht zu streng ins Gericht gehen. Denn es sollte allen Fans bewusst sein, die jetzt schon so viel zu meckern haben: UEFA Nations League, die Kontinental-EM 2020, die Winter-WM in der Wüste, eine Aufstockung des Weltturniers auf 48 Teilnehmer - in den nächsten Jahren wird alles noch viel, viel schlimmer.
Das ist leider genau so sicher wie die Tatsache, dass Frankreich in vier Jahren als amtierender Weltmeister wohl in der Vorrunde scheitern wird. An der Qualität des Turniers in Katar werden die Franzosen dann ganz sicher kein gutes Haar lassen.