Nach den tödlichen Schüssen während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas in Hamburg gehen am Freitag die Ermittlungen zu der Bluttat weiter. Innensenator Andy Grote (SPD) kündigte für den Mittag eine Pressekonferenz an, bei der Details zu der Tat und zum Stand der Ermittlungen bekanntgegeben werden sollen.
Während der Veranstaltung am Donnerstagabend waren mehrere Menschen durch Schüsse getötet oder verletzt worden, die Polizei spricht am Donnerstagvormittag von acht Toten. Medienberichten zufolge seien mindestens acht weitere Personen verletzt worden. Der Täter ist möglicherweise tot, seine Tat stuft die Polizei nach Informationen aus Sicherheitskreisen als Amoklauf ein. Die Hintergründe sind zunächst noch unklar. Bislang ist auch noch nicht bekannt, um was für eine Veranstaltung der Zeugen Jehovas es sich handelte.
Acht Millionen Zeugen Jehovas weltweit
Aber was ist das eigentlich für eine Glaubensgemeinschaft? Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als "allmächtigen Gott und Schöpfer" und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die "Weltzentrale" ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit nach eigenen Angaben 176.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.
Die Zeugen Jehovas haben keine bezahlten Geistlichen. Ihre Gottesdienste finden in "Königreichssälen" statt. Ihre wichtigsten Publikationen sind "Der Wachtturm" und "Erwachet!", sie glauben an einen bald bevorstehenden Welt-Untergang – und das schon eine ganze Weile. Die streng organisierte Gruppe wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von dem Geschäftsmann Charles Taze Russell (1852-1916) in den USA gegründet und finanziert sich seither durch freiwillige Spenden. Unter dem Nazi-Regime war die Glaubensgemeinschaft verboten und wurde verfolgt.
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Die Zeugen Jevohas lehnen übermäßigen Alkohol, Tabak und Bluttransfusionen ab
Dem Staat stehen die Zeugen Jehovas distanziert gegenüber. An Wahlen nehmen sie aus religiösen Gründen nicht teil. Übermäßiger Alkoholgenuss, Tabak und das Feiern nach dem christlichen Festkalender werden ebenso abgelehnt wie Bluttransfusionen. Immer wieder gibt es Berichte über Aussteiger der Glaubensgemeinschaft, die aufgrund ihrer Distanzierung selbst innerhalb ihrer Familie verstoßen werden.
Von den großen christlichen Kirchen werden die Zeugen Jehovas sehr kritisch gesehen, obwohl diese sich auch als christlich ansehen. Der Umgang mit Text und Glauben unterscheidet sich aber deutlich. So haben die Zeugen Jehovas eine eigene Bibelübersetzung, in der Gott Jehova heißt – im Urtext der Bibel gibt es diese Bezeichnung nicht. Die Dreifaltigkeit - Gott, Sohn, Heiliger Geist – lehnen sie ab.
Da sie selbst andere Kirchen ablehnen, gibt es für die Zeugen Jehovas keine Ökumene. Feste wie Weihnachten oder Geburtstage lehnt die Gruppierung als heidnisch ab. Ihrem eigenen Glauben nach kann eine begrenzte Zahl von 144.000 Menschen nach ihrem Tod in den Himmel kommen und dort mit Jesus eine Weltregierung bilden. Dies sind für die Zeugen Jehovas Menschen mit himmlischer Hoffnung – andere Gläubige haben eine irdische Hoffnung, was Kritiker als Zweiklassengesellschaft im Glauben sehen.
Im Streit mit dem Staat
Rechtliche Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts haben die Zeugen Jehovas in Deutschland erst seit 2017 in allen Bundesländern. Dem ging ein jahrelanger Rechtsstreit voraus, in dem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2000 wegweisend wurde. Die Karlsruher Richter entschieden damals, dass die Zeugen Jehovas rechtstreu sind – eine wesentliche Voraussetzung für die staatliche Anerkennung, die etwa mit dem Recht zum Einzug der Kirchensteuer verbunden ist.
Zum ersten Mal eine staatliche Anerkennung bekamen die Zeugen Jehovas in der sich damals auflösenden DDR 1990 von deren Ministerrat zugesprochen. Auf diese Entscheidung beriefen sich die sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR politisch verfolgten Zeugen Jehovas im Kampf um die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Viele Gerichte lehnten diese Anerkennung ab, weil die Anhänger der Zeugen Jehovas weder aktiv noch passiv an Wahlen teilnehmen sollen. Außerdem sehen sie den Staat als "Bestandteil des Weltsatans". Dies sah das Bundesverfassungsgericht nicht als Widerspruch zur Rechtstreue, da die Zeugen Jehovas gleichzeitig den Staat als "von Gott geduldete Übergangsordnung" akzeptieren. Die Nichtteilnahme an Wahlen ist für Karlsruhe ebenfalls von der Verfassung gedeckt.