Es ist Sonntag, das Restaurant "Bira" im Süden von Rio ist knackevoll. In den Zweigen der Mangobäume hangeln Micos, die kleinen, grauen Affen, auf den Tischen dampfen die Fischsuppen, und die Kinder toben herum.
Eines der Kinder ist sehr aktiv und ziemlich wild, und still sitzen kann die sechsjährige Márcia, Tochter eines Freundes, nicht. Also räumt sie den Tisch ab. Zuerst die Teller, dann die Bestecke, dann die leeren Schüsseln. Alles trägt sie zum Abwasch direkt in die Küche. Keiner fühlt sich gestört, selbst die Gäste am Nachbartisch freuen sich und sehen zu, wie Márcia die Welt entdeckt und erobert.
"Hey", sagt einer der Kellner, "du hast die Servietten vergessen, minha filha!" So ist das in Brasilien: Die Kinder dürfen die Welt auf ihre ganz eigene Art entdecken und erobern. Die Eltern geben ihnen nie das Gefühl, dass sie stören. Und sie hören ihnen geduldig - und mit Vergnügen! - zu.
So wie neulich in der der Churrascaria "Majorica", meinem Lieblingssteakhaus. Dort tafelte eine Großfamilie, und es war wie in einem dieser französischen Filme, wo drei Generationen an einem langen Holztisch sitzen und die Alten Wein trinken, die Jungen sich küssen und die Kleinsten gefüttert werden. Großes Stammespalaver, man redete munter drauflos, die Kinder ebenso wie die Erwachsenen.
Der Vater las etwas aus der Tageszeitung vor: In einem Bürogebäude war das Wasser nicht mehr abgelaufen, und der Klempner hatte ein paar hundert gebrauchte Kondome aus dem verstopften Abfluss gefischt. Was ist das, ein Kondom? Jeder am Tisch suchte Antworten, und es entspann sich eine witzige Diskussion. Ein Kind fragte, ob es auch Kondome für Katzen gebe, damit die nicht immer so viele Kinder bekommen.
Ich denke an ähnliche Szenen in Deutschland. Eltern sitzen mit ihren Kindern im Restaurant, und alle sind genervt. Die Eltern: "Bleib sitzen!" "Rede nicht immer dazwischen!" Die Kinder: "Das ist so langweilig hier!" "Wann gehen wir endlich?"
In Rio de Janeiro ist das anders, wie ich oft beobachtet habe. Es gibt bei Tisch keine Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern. Und das Familienessen ist ein festliches Ritual, ein nicht endendes Gelächter.