Jahrelang musste der Eisbär auf der dünner werdenden Eisscholle als Motiv dafür herhalten, wenn irgendwo auf der Welt jemand vor den Folgen des Klimawandels warnte. Mittlerweile hat die Menschheit grundsätzlich begriffen, dass ein sich veränderndes Klima mit steigenden Temperaturen und häufigeren wie heftigeren Extremwetterereignissen nicht nur die Raubtiere in der Arktis trifft. Als Symbol für die Klimakrise dienen längst andere Bilder, etwa die von den zerstörerischen Überschwemmungen im Ahrtal 2021 oder von den ebenfalls tödlichen Waldbränden in Australien.
Die Klimakrise lässt sich somit längst auch dort spüren, wo der Mensch lebt. Oder wie UN-Generalsekretär António Guterres jüngst metaphorisch sagte: "Die Menschheit befindet sich auf dünnem Eis – und dieses Eis schmilzt schnell."
Zugleich ist die Lage der weißen Riesen nicht unbedingt besser geworden. Die Erderwärmung treibt sie in neue Regionen und zu neuen Essgewohnheiten, zudem sehen Forscher alarmierende Anzeichen, dass tief im Eis gefundene Chemikalien auch die Tiere erreichen könnten. Es ist daher an der Zeit, zu fragen: Wie geht es ihm, dem Eisbären?
Am besten geht es den Eisbären auf Spitzbergen
Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. "Es hängt sehr davon ab, wo man hinschaut", sagt der Eisbärforscher Jon Aars vom Norwegischen Polarinstitut. "Auf Spitzbergen zum Beispiel ist mit ihnen alles weiterhin in Ordnung. Wir sehen viele unterschiedliche Effekte darauf, was sie tun und wo sie sind, aber nicht, dass ihre Population zurückgeht oder sie sich nicht fortpflanzen können."
Anderswo in der Arktis gehe es ihnen aufgrund des wärmeren Klimas und des zurückgehenden Meereises viel schlechter. Am meisten zu kämpfen hätten sie in südlicheren Gebieten der Arktis wie der Hudson Bay in Kanada, aber auch nördlich von Alaska in der Beaufortsee, wo ihnen mehrere Jahre mit schlechten Eisverhältnissen zugesetzt hätten.
Kaum ein anderer Ort der Welt ist allerdings so eng mit dem Eisbären verbunden wie Spitzbergen. Heute leben Aars zufolge schätzungsweise 250 Exemplare rund um die nordnorwegische Inselgruppe und auf ihr, etwa 3000 sind es in der gesamten Barentsseeregion, die sich bis nach Russland erstreckt. Er ist eines der Zugpferde des Spitzbergen-Tourismus, eine Begegnung aus ein, zwei Kilometern sicherer Entfernung ein unvergessliches Erlebnis. Zugleich wird kein Geheimnis aus der Gefahr gemacht, die von dem Raubtier ausgeht.
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Insgesamt wird die Eisbärpopulation auf etwa 26.000 Exemplare geschätzt. Die Region erhitzt sich dabei mit zunehmendem Klimawandel deutlich schneller als andere Erdteile, das merkt man auf Spitzbergen ganz besonders. "Es ist eine der Regionen der Welt, wo man wirklich sehen kann, wie sich das Klima erwärmt", sagt der Arktisforscher Bjørn Munro Jenssen vom Universitätszentrum von Spitzbergen (UNIS).
Das wirkt sich auch auf die Lage der Eisbären aus, wie Forscher Aars erläutert: "Wir sehen, dass sich viele der Bären heute viel weiter nördlich befinden – einfach deshalb, weil sie viel Zeit auf dem Meereis verbringen und das Eis einen Großteil des Jahres 200, 300 Kilometer weiter nördlich ist als üblich." Die Zeit zum Seehundjagen werde für sie zudem kürzer und kürzer. Auf Spitzbergen jagten sie nun viel häufiger auch Rentiere und plünderten Vogelnester.
Ewige Chemikalie im ewigen Eis
Zum Problem des schmelzenden Meereises kann ein weiteres hinzukommen: Ein internationales Forscherteam um den Umweltchemiker William Hartz (ebenfalls UNIS) hat in einem Eisbohrkern in einem abgelegenen Teil von Spitzbergen namens Lomonosovfonna 26 unterschiedliche PFAS-Verbindungen gefunden. Das sind chemische Stoffe, die zum Beispiel dafür genutzt werden, Pfannen oder Jacken schmutz- und wasserabweisend zu machen.
Ihr Problem: Sie verschwinden nicht ohne Weiteres aus der Umwelt, weshalb sie oft auch als "ewige Chemikalien" bezeichnet werden. Für Gesundheit und Umwelt können sie zudem schädlich sein, weshalb die deutsche Regierung derzeit mit anderen europäischen Ländern darauf hinarbeitet, den Großteil dieser Stoffe verbieten zu lassen.
Auch für die Bären stellen sie ein Risiko dar: Die Sorge ist, dass die durch die Atmosphäre transportierten Chemikalien aus entfernten Regionen in Amerika, Europa und Asien in arktische Gletscher und von dort ins Meer gelangen, wie Jenssen erklärt. Sie könnten es dann letztlich die gesamte Nahrungskette heraufschaffen – von Plankton über Fische und Seehunde bis hin zum besagten Eisbären.
Damit könnten die Tiere vor einem doppelten Problem stehen, wie Hartz sagt. "Eisbären sind giftigen, menschgemachten Chemikalien ausgesetzt und müssen gleichzeitig mit veränderten Lebensräumen, weniger Meereis und sich verändernden Jagdgebieten zurechtkommen", sagt er. Die PFAS-Werte bei den Eisbären auf Spitzbergen ähneln laut Hartz denen im Blut von Menschen, die in der Nähe von Chemikalienfabriken in China leben. "Das ist ziemlich alarmierend."
Auch Eisbärforscher Aars beobachtet die PFAS-Entwicklungen mit Sorge. "Wir wissen, dass sie einen Effekt auf die Tiere haben, aber wir wissen noch nicht viel darüber, wie schlimm er ist. Es ist nicht gut – aber wir wissen nicht, wie schlecht es ist", sagt er.