Der mobile Hochstand der deutschen Künstlerin Francis Zeischegg ist ein ironischer Kommentar zum umstrittenen Hochsicherheitszaun, der sich zwölf Kilometer lang um den G-8-Tagungsort Heiligendamm zieht. Die Installation "Asylbox" des dänischen Künstlers Thorbjörn Reuter Christiansen greift die problematische Unterbringung von Asylsuchenden in Deutschland auf. Franz Ackermann beschäftigt sich in seinen Bildern mit den Auswirkungen des weltweiten Tourismus - auf kleinformatigen Papieren hat er "mental maps" gezeichnet. Der Dirigent und Komponist Christian von Borries hat die konservierten Stimmen der G-8-Staats- und Regierungschefs zu einer merkwürdigen "Gipfelmusik" gemixt, die die Kommunikationsprobleme einer solchen Begegnung hörbar macht. Und auf das Medium TV muss hier in Rostock auch niemand verzichten. Das Fernsehprogramm "Kein.TV" ist eine Parodie auf die Medienhysterie und wird sowohl über die Ereignisse des G8-Gipfels berichten als auch eigene künstlerische Formate zeigen.
"Art goes heiligendamm" ist eine ambitionierte Zusammenstellung von unterschiedlichsten Kunstwerken, die sich mit den Problemen der fortschreitenden Globalisierung auseinandersetzen - eine Art künstlerisches Basislager am Gipfel. Die artistische Bandbreite ist kaum zu fassen. Ob Videos, Installationen, Vorträge, Fotografie, Film, Malerei, Skulptur, Tanz - fast alles wird hier gezeigt. Mal ironisierend und mal ernsthaft, mal provokant und mal poetisch. Intelligent und spielerisch werden die Themen aufgegriffen, die man rund um den G-8-Gipfel diskutiert - und mit kunstpolitischen Inhalten gefüllt.
Förderanträge wurden abgelehnt
Zu verdanken ist diese bemerkenswerte Veranstaltung, die bis zum 9. Juni dauert und für die alle Künstler auf Gagen verzichtet haben, der früheren Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler. Mit unermüdlichem Engagement hat sie seit Dezember 2006 für die Umsetzung dieser Idee gekämpft. Ein Projekt, das immer wieder auf der Kippe stand, weil sich die Finanzierung zu einem Debakel entwickelte. Bis zuletzt fehlte noch Geld. Diverse Förderanträge, etwa bei der Kulturstiftung des Bundes, wurden, so Adrienne Goehler im Gespräch mit stern.de "mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt". Die Idee, das Projekt als "Kunst am Bau" zu bestimmen, stieß erst recht nicht auf Gegenliebe, obwohl, so Adrienne Goehler, es doch nahe gelegen hätte: "Der Zaun um Heiligendamm hat um die 12,5 Millionen Euro gekostet und steht im Fokus der Öffentlichkeit - gesetzliche Bedingung für eine Kunst am Bau-Förderung von zwei Prozent der Gesamtsumme." Das hätte 250.000 Euro bedeutet. Der Antrag wurde abgelehnt.
Die veranschlagten 350.000 Euro sind wohl auch so, wenn auch mit unendlichen Mühen, zusammen gekommen. Ohne großzügige Privatspenden etwa des Malers Daniel Richter und die Mithilfe verschiedener Stiftungen wäre das Projekt gescheitert. Der Bund hat sich für das kulturelle G-8-Rahmenprogramm nicht erwärmen lassen. Einzig die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns hat sich nicht lumpen lassen - nicht nur finanziell, sondern auch mit unverzichtbarer man power.
"Kunst kann als Motor und Motivator fungieren"
Adrienne Goehler ist erschöpft, aber stolz: " 'Art goes heilgendamm' ist ein Kunst-Experiment", sagt sie. "In einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, in der Politik nicht mehr die Menschen unmittelbar erreicht, kann Kunst als Motor und Motivator fungieren." Die diplomierte Psychologin will mit ihrem Experiment helfen, dass auch der normale Bürger auf der Straße Antworten auf schwierige Fragen der Globalisierung erhält, Einblicke in eine Welt erhält, die sonst eher nur Fachleuten vorbehalten sind.
Zentraler Ort der Veranstaltung ist der Kunstort "Silver Pearl Congress Center & Spa", das auf dem Gelände des Rostocker Hafengeländes liegt. Diese multifunktionale Installation, die vom Berliner Architekturbüro "raumlabor_berlin" geschaffen worden ist, spielt ironisch mit ihrem Vorbild der "Weißen Perle", dem heutigen Hotel Kempinski, in dem der G-8-Gipfel stattfindet. "raumlabor_berlin" war bereits im Sommer 2005 durch seine spektakuläre Kunstaktion im maroden Berliner Palast der Republik aufgefallen. Damals hatte die Architektengruppe, angeführt von Benjamin Foerster-Baldenius, den Palast in eine meditative Kletterbude für die ganze Familie verwandelt - den "Bergkristall". Das "Silver Pearl Congress Center & Spa" ist öffentlich zugänglich und das "Herz" von "art goes heiligendamm".
Bevölkerung hat Angst vor G-8-Besuchern
Adrienne Goehler bleibt zuversichtlich, was den positiven Verlauf ihres Projektes angeht. "Wir können hier Golf spielen, im Pool baden, einen Drink nehmen", schmunzelt sie, "und wir haben hier unseren eigenen mannshohen Bauzaun." Das "Silver Pearl Congress Center & Spa" ist jetzt Ort der Begegnung und der Entspannung. "Alle sind herzlich eingeladen", sagt Adrienne Goehler, "jeder ist Gast und darf seine Meinung und seine Wünsche offen und öffentlich kundtun." Das Gesamtprojekt ist so konzipiert, dass sich Künstler und Bevölkerung in einem steten Dialog miteinander befinden (können). Friedliche und respektvolle Auseinandersetzung, anregende, durchaus kritische Gespräche und bunte Diskussion miteinander sind erwünscht. Gedanken sollen sich "verflüssigen", denn nur so sei dem Stillstand zu begegnen. Stillstand ist Rückschritt. "Verflüssigung" ist deshalb auch das Leitwort der Schau. Panta rhei. Alles fließt. Adrienne Goehler ist überzeugt, "dass der Einfluss von Kunst und Kultur auf politische Prozesse nicht zu unterschätzen ist - wir müssen nur lernen, das kreative Potential, das in uns steckt, auch wirklich zu nutzen."
Adrienne Goehler weiß, dass "art goes heiligendamm" nur erfolgreich werden kann, wenn alle mitziehen. So ist es ihr gelungen, Rostocker Schulen, Arbeitsämter und verschiedene Kultureinrichtungen wie das Volkstheater, das Literaturhaus und das Institut für neue Medien zu überzeugen, sich zu beteiligen. Wer bei der Schau mitmacht, erhofft sich von ihrer künstlerischen Intervention auch eine deeskalierende Wirkung auf militante G-8-Demonstranten. Denn die Angst der örtlichen Bevölkerung vor dem heuschreckenartigen Einfall der G-8-Besucher und ihrer Gegner ist nachvollziehbar. Adrienne Goehler: "Ich bin nicht naiv. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass wir mit "art goes heiligendamm" keinen Einfluss auf mögliche Krawalle haben. Das ist auch nicht unser Anliegen. Wir wollen mit künstlerischen Mitteln versuchen, den Menschen den Blick auf die bestehenden Verhältnisse zu öffnen und, wenn nötig, neu darüber nachzudenken." Kuratorin Goehler fragt augenzwinkernd: "Warum sollte man nicht, trotz der Ernsthaftigkeit des Anlasses, mit einem gewissen Humor, mit Optimismus und Zuversicht den Problemen der Welt begegnen?"