"Früher waren indigene Völker für mich nichts als Wilde", sagt Pablo Albarenga, 30, Dokumentarfotograf aus Uruguay. Doch dann sah er während des Studiums an der Schule für Fotografie in Montevideo Bilder von Ureinwohnern aus dem Amazonas-Regenwald, die seine Vorstellungen auf den Kopf stellten. "Die Menschen trugen normale Kleidung und verwendeten moderne Technik. Damit hatte ich nicht gerechnet." Albarengas Neugier war geweckt. Er begann zu recherchieren. Und stieß auf erschreckende Fakten. In nur einem Jahr waren in Lateinamerika über 120 Umweltschützer ums Leben gekommen, unter ihnen viele Indigene. Sie starben bei dem Versuch, ihre Lebensräume etwa gegen Holzfäller, Wilderer und den Zugriff von Konzernen zu verteidigen. Allein für Brasilien waren 57 Todesfälle dokumentiert. Diese Zahlen waren der Anstoß zur Dokumentation "Seeds of Resistance – Saat des Widerstands".
Albarenga entschloss sich, den Kampf der Ureinwohner für die Erhaltung der Natur in ihren Gebieten mit der Kamera festzuhalten. In jahrelanger Arbeit knüpfte der Fotograf Kontakte zu Völkern in entlegenen Winkeln des Regenwaldes. Er stieß auf Frauen wie Drica, die im Norden Brasiliens gegen eine Bauxit-Mine zu Felde zieht. Das Quecksilber, das als Abfallprodukt bei der Aluminiumproduktion entsteht, verschmutzt das Trinkwasser, sodass viele Menschen unter Hautreizungen leiden. Er traf auch die kolumbianische Großmutter Miguelina, die darum kämpft, die Kultur ihres Volkes zu bewahren, dessen Heimat von riesigen Bananenplantagen Stück für Stück verschlungen wird.

Am Río Pastaza in Ecuador besuchte Albarenga das Volk der Achuar. Fünf Tage dauert die Reise per Boot in das abgelegene Gebiet. Dort lernte er Nantu, 31, kennen, einen "ruhigen, neugierigen Mann", wie Albarenga sagt. In Gummistiefeln, Jeans und Ringelshirt und mit einer Machete bewaffnet führte Nantu den Fotografen durch den dichten Urwald. Er zeigte ihm essbare Wurzeln, Früchte und Heilpflanzen. "Der Wald ist unser Leben", sagt Nantu. Bis heute baut das Volk seine Häuser ausschließlich aus lokal gewonnenem Holz.
Verbundenheit zwischen Mensch und Umwelt
Doch die Idylle am Pastaza ist bedroht. Denn unter dem Waldboden lagern Ölvorkommen, die nach dem Willen der Regierung bald erschlossen werden sollen. Dafür ist bereits eine neue Straße durch den Wald getrieben worden. Vergangenes Jahr fuhren Nantu und 15 seiner Mitstreiter deshalb in die Hauptstadt Quito. Mit Speeren bewaffnet demonstrierten sie gegen die drohende Zerstörung ihrer Heimat. Der Protest endete in einer Straßenschlacht mit der Polizei. Auch unter den eigenen Leuten engagiert sich Nantu für den Umweltschutz. Als Albarenga ihn traf, war er gerade damit beschäftigt, die Boote der Achuar von Benzin- auf Solarantrieb umzustellen.
Um das enge Band zwischen Nantu und seiner Heimat fotografisch in Szene zu setzen, bat Albarenga ihn, sich auf zwei mannshohe Blätter zu legen. Dann schoss er Nantus Porträt mit der Kameradrohne aus der Luft. Am Computer verschmolz er das Bild mit einer Luftaufnahme des Regenwalds – eine Technik, die er auch bei den anderen Porträts anwandte. "Die Collage soll die Verbundenheit zwischen den Aktivisten und den Territorien zum Ausdruck bringen."
Kampf der Indigenen bleibt unbemerkt
Mit seinem Fotoprojekt möchte Albarenga den Menschen des Regenwalds eine Stimme geben. Denn vom einsamen Überlebenskampf der indigenen Völker Südamerikas nimmt die Welt noch kaum Notiz. "Als sich im Sommer 2019 riesige Feuer durch den Amazonaswald fraßen, sprachen alle über die Folgen für den Rest der Welt. Kaum jemand sprach über die Menschen, die dort leben." Auch jetzt lodern wieder Brände, die noch verheerender sind.
Bei allem Horror, den sie dokumentieren, strahlen Albarengas Bilder auch eine stille Schönheit aus. Sie führen uns nah heran an die mutigen Hüter des Waldes und die Natur, für deren Erhaltung sie kämpfen. Die Fotos schockieren nicht, sondern faszinieren durch ihre Unmittelbarkeit. "Für die Umweltzerstörung im Amazonasgebiet ist jeder Einzelne von uns mitverantwortlich", sagt Albarenga. "Unsere Konsumentscheidungen haben Konsequenzen, und die müssen die indigenen Völker tragen. Es ist an uns zu entscheiden, ob wir Produkte von Unternehmen kaufen, die ihre Ressourcen von dort beziehen."
Am Amazonas geht der Widerstand weiter. Darum nennt Pablo Albarenga nur die Vornamen seiner Protagonisten. "Ich möchte sie schützen", sagt der Fotograf. "Denn ihr Kampf ist lebensgefährlich."