Erinnern Sie sich noch an "Philae"? Die relativ kleine Sonde, die im vergangenen November dafür sorgte, dass die Welt den Atem anhielt: Rund 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt setzte sie auf dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, kurz "Tschuri", auf. Etwas wackelig und unbeholfen zwar - der Lander hopste dabei und kam so zum Stehen, dass einer seiner drei Füße ins All hing. Doch mit der Landung war etwas geglückt, von dem nicht nur Raumfahrtexperten träumen: Etwas von Menschenhand Gebautes hatte einen Spähposten auf einem Kometen bezogen.
Seitdem hat der Lander über seine Kontaktstelle - die Raumsonde "Rosetta", die "Tschuri" umkreist - immer mal wieder Daten zur Erde gefunkt. Was am Anfang gar nicht zu erwarten war, denn der kleine Geselle kam im Schatten eines Felsbrockens zum Stehen. Das war schlecht für seine Batterien, sie hielten nicht so lange wie geplant. Drei Tage blieben ihm, um seine Arbeit zu verrichten - dann fiel er in einen Tiefschlaf.
Doch selbst innerhalb dieser kurzen Zeit konnten die Forscher offenbar einiges an verwertbarem Material gewinnen. Gleich sieben Studien präsentieren sie nun im Fachjournal "Science". Das Spezial zu "Philae" und seiner Mission wirft ein Licht auf die Natur von Kometen - und auf die Landung der Sonde.
Eine Oberfläche, mal weich wie Schnee, mal extrem hart
Die war nämlich alles andere als sanft, wie Jens Biele vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln und seine Kollegen in einem Paper beschreiben. Steuerdüsen, die den Lander auf die Kometenoberfläche drücken sollten, waren defekt. Auch die Harpunen, mit denen sich "Philae" im Eis verankern sollte, feuerten nicht. Zweimal setzte der Lander daher auf dem Kometen auf und hob wieder ab, bevor er endgültig zum Stehen kam. Doch bereits diese kurzen Touchdowns geben den Forschern Aufschluss darüber, wie die Kometenoberfläche beschaffen ist - und liefern damit wertvolle Hinweise für spätere Kometenmissionen.
Der ursprünglich festgelegte Landeplatz, eine Region namens "Agilkia", weist Biele und Kollegen zufolge einen weichen, grobkörnigen Untergrund auf, mit einer weitaus festeren Unterschicht. Die 20 Zentimeter dicke obere Schicht, die weich wie Neuschnee ist, verhinderte aber offenbar, dass "Philae" dort Halt finden konnte, der Lander hopste weiter. "Abydos", der Platz, an dem "Philae" letztlich zum Stehen kam, hat dagegen eine weitaus härtere Oberfläche - was vermutlich erklärt, warum die Sonde sich dort nur mit einem Fuß verankern konnte.
"Vielleicht kann man es als größte Überraschung des Kometen bezeichnen, dass Abydos einen so harten Boden hat", erläutert DLR-Planetenforscher Tilmann Spohn. Die ungeplanten Hopser von "Philae" waren demnach Glück im Unglück. "Wir hätten es wohl nie gewagt, eine Landung in einem so rauen Gelände wie Abydos zu versuchen", sagt der "Philae"-Projektleiter Stephan Ulamec vom DLR.
Doch die Forscher nahmen den Kometen nicht nur oberflächlich unter die Lupe. Sie entlockten ihm mittels Radiowellen auch Geheimnisse über sein Innerstes. Der Kern von "Tschuri" ist demnach recht einheitlich aufgebaut, schreiben Wlodek Kofman von der Universität Grenoble und Kollegen. Er besteht zum größten Teil aus Staub und deutlich weniger Eis als vermutet. Ob die Sicht auf Kometen als "schmutzige Schneebälle" noch berechtigt ist, scheint daher fraglich. Vielmehr präsentiert sich "Tschuri" als gefrorener Schmutzball. Die Eis- und Staubteilchen sind zudem eher locker zusammengepackt. Der Kern ist porös, es gibt viele Hohlräume: Bis zu 85 Prozent des Kometeninneren sind demnach leer.
Viele organische Moleküle
Dass "Tschuri" die Form eines Quietscheentchens hat - mit einem Körper, einem langen Hals und einem darauf aufsetzenden Hals - hatten bereits Daten von "Rosetta" gezeigt. Mit "Philae" wollten die Wissenschaftler eigentlich klären, wie diese zwei Teile entstanden sind: Aus zwei Körpern, die sich vereinigten? Oder aus einem, der langsam auseinanderbrach und erodierte? Doch das gelang nicht, "Philae" kam lediglich auf dem "Kopf" des Quietscheentchens zum Stehen und konnte daher nur diese Region untersuchen.
Organische Moleküle hatten die Forscher schon auf dem Kometen vermutet. Was sie mehr interessierte, ist deren genaue Zusammensetzung. Denn Kometen ermöglichen einen Blick in die Kinderstube des Universums, das Urmaterial ist auf ihnen noch fast unverändert vorhanden. Zudem gehen manche Wissenschaftler davon aus, dass die Bausteine des Lebens durch Kometeneinschläge auf die Erde gelangt sein könnten.
Mit dem COSAC-Instrument, eine Art chemischer Schnüffler, der Bodenproben analysiert, untersuchten Forscher um Fred Goesmann vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung aufgewirbelten Staub - aus der Zeit vor der Landung, kurz nach dem ersten Touchdown und nach dem Aufsetzen auf dem finalen Landeplatz. Das Ergebnis: 16 organische Verbindungen konnten die Forscher nachweisen, darunter auch vier, von denen bis jetzt nicht bekannt war, dass sie auf Kometen zu finden sind.
Diese vier neuen Substanzen - Methyl-Isocyanat, Aceton, Propionaldehyd und Acetamid - sind recht kleine Moleküle. Alle enthalten Kohlenstoff und Wasserstoff, drei auch Stickstoff. "Insgesamt handelt es sich um einen wahren Baukasten organischer Verbindungen, von denen viele als Ausgangspunkt für wichtige biochemische Reaktionen dienen können", wird Goesmann in einer Mitteilung seines Instituts zitiert. In weiteren chemischen Reaktionen könnten sie sich zu Bausteinen des Lebens wie etwa Zuckern oder Aminosäuren entwickeln.
Rein äußerlich gesehen, ist "Tschuri" eher der schroffe und schmutzige Typ. Das verdeutlichen beeindruckende Panoramaaufnahmen von der Oberfläche des Kometen, die Jean-Pierre Bibring von der Université Paris-Süd und seine Kollegen analysierten. Auch Bibring war überrascht, wie wenig Eis sich auf "Tschuri" findet. Stattdessen entdeckten die Forscher viel größere Staubteilchen als erwartet. Geröllähnliche Brocken und sogar mächtige Felsen sind auf den Aufnahmen zu erkennen.
Die raue Landschaft auf "Tschuri" ist vermutlich durch Erosion und Ablagerung entstanden: Felsbrocken ragen aus staubigen Ebenen heraus, umgeben sind sie von großen Senken, Geröllhalden und Verwehungen. Staubfontänen könnten manche dieser Erosionen erklären, hervorgerufen durch Geschosse, die auf Tschuri stürzen, vermuten Stefano Mottola vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und Kollegen.
"Philae" schweigt
Tilman Spohn und seine Kollegen maßen die Temperatur von "Tschuri" - was leider nur an der Oberfläche möglich war. Da "Philae" an einer ganz anderen Stelle aufsetzte als geplant, konnte der Bohrer nicht in den Kometenuntergrund eindringen - die Oberfläche war dafür einfach zu hart. Auf dem Kometen ist es allerdings recht frostig, Temperaturen zwischen minus 180 und minus 140 Grad herrschen dort. Eine feine Eis-Staub-Schicht bedeckt die Oberfläche des Landeplatzes.
Die nun veröffentlichten Studien ergänzen die Beobachtungen der "Rosetta"-Sonde, die den Kometen umkreist und aus der Entfernung kartiert. Bereits Anfang des Jahres hatten Wissenschaftler in einem umfangreichen, ebenfalls in "Science" veröffentlichten Spezial diese Daten ausgewertet. "Philae" hat nun einen noch genaueren Blick auf den Kometen ermöglicht.
Es könnte die letzte Nahaufnahme sein. Denn nach sieben Monaten Funkstille hat sich der Lander zwar Mitte Juni wieder zurückgemeldet, doch der Kontakt war wacklig und riss schließlich komplett ab. Seitdem schweigt "Philae". Die Raumsonde "Rosetta" hingegen wird noch weiter auf Entdeckungstour gehen: Im August soll sie die südlichen Gefilde des Kometen erkunden. Das bedeutet aber auch, dass sie seltener Kontakt zu ihrem Partner auf der Kometenoberfläche hat - denn der sitzt im Norden.