"Welchem Mann sind in Berlin die meisten Denkmäler gewidmet?" So lautete im 19. Jahrhundert eine beliebte Scherzfrage. "Dem Buchdrucker Ernst Litfaß mit seinen vielen Litfaßsäulen", lautet die wohl auch noch heute gültige Antwort. Vor 150 Jahren, am 5. Dezember 1854, schloss Ernst Theodor Amandus Litfaß mit dem Polizeipräsidenten von Berlin einen Vertrag. Dieser erlaubte ihm die Aufstellung von 150 "Annoncier-Säulen" an Straßenecken und auf Plätzen.
17.055 Litfaßsäulen deutschlandweit
Eigentlich wollte Litfaß nur die ihn nervende, wilde Zettelkleberei an Zäunen, Bäumen und Hauswänden beenden. Doch mit seiner Erfindung startete die Plakatwerbung so richtig durch. Heute stehen in Deutschland nach Angaben des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft 17.055 Litfaßsäulen, jedes Jahr werden alte ausgetauscht und neue aufgestellt.
Im Juli 1855 feierte der Druckereibesitzer und Verleger von Zeitungen wie "Berliner Krakehler"die Aufstellung des ersten runden "Stadtmöbel". Noch in der Nacht zuvor hatten Polizei und viele Helfer versucht, alle verbotenerweise an Wänden klebenden Zettel abzukratzen. Der Polizeipräsident war zufrieden. Litfaß verpflichtete sich, stets die neuesten Verordnungen und Bekanntmachungen der Stadt anzukleben. Die Berliner nannten Litfaß liebevoll ihren "Säulenheiligen".
Statt der täglichen Zeitung, ein Blick auf die Litfaßsäule
"Im 19. Jahrhundert konnten sich Leute mit wenig Geld keine Zeitung leisten", sagt der Berliner Autor und Litfaßsäulen-Experte Reinhard Wahren. "Sie sind einfach an die nächste Ecke gerannt, um sich zu informieren." Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 durfte Litfaß als erster Depeschen anschlagen. Mobilmachungen, Wahlaufrufe oder Heiratsankündigungen hoher Herrschaften waren dort ausgehängt. Tanzlokale, Weinstuben, Zirkusse und Theater machten Werbung. Bald gab es in vielen größeren Städten Deutschlands Litfaßsäulen.
In London und Paris habe es damals bereits Vorläufer gegeben, allerdings nicht in der klassischen, runden Form und mit dem Säulenschaft in englischgrün, sagt Wahren. In der französischen Hauptstadt standen stuckbeladene Säulen mit Zwiebelkuppeln und Schindeldächern, die von den deutschen Kritikern als "Missschöpfungen in der Form" geächtet wurden. In London zogen Pferdewagen achteckige Gebilde durch die Stadt.
Als riesige, öffentliche Zeitung habe sich die Litfaßsäule in Deutschland bis in die 20er und 30er Jahre gehalten, sagt Wahren. Nach dem Krieg teilten die Behörden dort per Aushang mit, wo Wasser oder Lebensmittelmarken zu bekommen sind. Die Bürger hefteten Vermisstenanzeigen und Schwarzmarktangebote an. Die Zeiten, in denen sich Scharen von Menschen um die runden Säulen scharten sind vorbei, doch mit überlebensgroßen Bildern von Filmschönheiten oder Werbeikonen sind sie immer noch ein Blickfang.
Für den "König der Reklame" ein Ehrengrab in Berlin
Allein von den 4000 Berliner Litfaßsäulen sind noch mehr als die Hälfte so genannte "Allgemeinstellen", erklärt Andreas Orth vom Unternehmen VRR-Berek, dem die meisten der Berliner Exemplare gehören. Dort sind nicht großformatige, ganz um die Säule gewickelte Plakate zu sehen, sondern viele kleine Aushänge, vor allem von Kulturveranstaltern. Ausdrücklich nicht als Konkurrenz zur traditionellen Klebe- und Anschlagsäule verstehe sich die moderne Plakatsäule, sagt eine Sprecherin der Wall AG. Bei diesen be- und hinterleuchteten Werbeträgern werden die Plakate eingelegt.
Schon 1880 endete Litfaß' Konzession. Die Erben des 1874 gestorbenen Buchdruckers wurden überboten. Als "König der Reklame" hat Litfaß heute ein Ehrengrab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte.