Bevor Eliot Spitzer sich zum Podium begibt, legt er seinen Arm um seine Frau. Die beiden nicken sich zu. Kurz, stumm, dann schreiten sie zusammen weiter, beobachtet von gut 100 Reportern. Der Gouverneur des US-Bundesstaats New York holt einen Zettel aus seinem Jackett und liest.
Seine Worte stocken, Gattin Silda starrt auf das Manuskript. "Ich entschuldige mich zuerst und vor allem bei meiner Familie." Beim Wort "Familie" hebt Silda tatsächlich ihren Kopf und blickt über die Reporter hinweg, irgendwo ins Nichts. Ihr Mann fährt fort: "Ich habe versagt und bin meinen eigenen Standards nicht gerecht geworden."
Ein tiefer Fall
Eliot Spitzer ist bekannt für seine perfekt inszenierten Pressekonferenzen und ausgedehnten Fragerunden. Der Auftritt am Montag in seinem Büro auf Manhattans East Side aber dürfte der kürzeste seines Lebens gewesen sein. Eine Minute, keine Fragen. Er sagt nichts und doch alles. Kein direktes Geständnis, kein konkretes Wort zu den Gerüchten, die in New York City gerade für ein Beben gesorgt haben. Doch der verkniffene Mund, die umständlichen Worte, die tonlose Begleiterin, die mit ihm Ehepaar spielt, erzählen alles: ein tiefer Fall. Eine gedemütigte Frau. Ein gebrochener Mann.
Am Ende faltet Spitzer seinen Zettel, Reporter rufen ihm nach: "Treten Sie zurück? Treten Sie zurück?" Aber er ist schon weg.
Was der Gouverneur nicht aussprechen wollte: Er soll Kunde bei einem exklusiven Online-Prostituiertenring gewesen sein. US-Bundesermittler hatten die in Paris, London und New York operierende Organisation namens "Emperor's Club V.I.P." in der vergangenen Woche ausgehoben. Und stießen dabei auch auf Kunden Nummer neun: Eliot Spitzer.
Lange Liste der Feinde
Der Mann, der als knallharter Staatsanwalt und "Wachhund der Wall Street" bekannt geworden ist. Ausgerechnet er, der Saubermann, der unermüdliche Ex-Chefankläger. Was für eine Nachricht! Jahrelang hatte der Starjurist so vielen Firmenbossen mit Anklagen das Leben zur Qual gemacht - und sie zu Fall gebracht. Die Liste der Feinde ist lang: Dick Grasso, Ex-Chef der New Yorker Stock Exchange, gehört ebenso zu den Opfern wie Maurice "Hank" Greenberg, damals Chef der weltgrößten Versicherungsgesellschaft American International Group (AIG). Jetzt steckt Spitzer plötzlich selbst mitten in einem Kriminalfall um teure Callgirls und Geldwäsche. Das, was er einst anprangerte und erbittert verfolgt hat, ist ihm zum Verhängnis geworden.
Groß ist die Aufregung, die Häme kaum zu überhören. Als die Nachricht über Spitzers Verstrickung in diesem Fall am Montag über den Ticker läuft, bricht Jubel auf dem Parkett der New York Stock Exchange aus.
Barry Ritholtz von Fusion IQ frohlockt: "Machen Sie sich auf ein Fest der Schadenfreude gefasst." Ein Broker sagt: "Der Typ hat einfach zu viele Häuser zum Einsturz gebracht." "So etwas kann man gar nicht erfinden", grinst ein anderer.
Ein wahr gewordener Albtraum
Auch am Dienstag noch belagern TV-Crews und Reporter Spitzers Apartment an der Fifth Avenue, Übertragungswagen blockieren zeitweise die Durchfahrt.
Es ist ein wahr gewordener Albtraum für Spitzer, der von 1998 bis 2006 als Generalstaatsanwalt von New York aggressiv gegen Investmentbanken und Fondsmanager vorging - und als "Sheriff der Wall Street" weltweit bekannt wurde. Er verbesserte die Ermittlungsmethoden, denen er jetzt ironischerweise selbst zum Opfer gefallen ist. Besonders pikant: Spitzer selbst führte früher Ermittlungen gegen Prostituiertenringe, die in New York illegal sind.
Offenbar hatten die Ermittler schon seit Monaten ein Auge auf den Emperor's Club V.I.P. geworfen und Telefongespräche abgehört. Kunde Nummer neun war nach einem Bericht der "New York Times" einer der Kunden, die den Fahndern bei ihren Telefonmitschnitten in die Fänge gerieten: Gouverneur Spitzer.
"Fox" trifft "Kristen"
Er bestellt sich am 13. Februar eine Prostituierte namens "Kristen" in das Washingtoner Luxushotel Mayflower. Spitzer hat am nächsten Tag einen Termin vor dem Unterausschuss für Kapitalmärkte im US-Repräsentantenhaus. Der Gouverneur checkt unter dem Namen "George Fox" im Zimmer 871 ein - und gibt dabei auch dessen Privatadresse an der New Yorker 5th Avenue an.
Fox, ein Hedge-Fonds-Manager und mit Spitzer befreundet, will nichts von den Machenschaften seines Freundes gewusst haben. Dabei ist Spitzer offenbar regelmäßiger Kunde beim Emperor's Club V.I.P.. Die Fahnder entdecken nach Berichten von US-Medien ein Guthaben von 400 oder 500 $, das aus früheren Zeiten stammen muss. Kristen, die eigens mit dem Zug von New York nach Washington anreist, ist teurer: Nach zähen Verhandlungen soll sich Spitzer mit der Prostituierten auf einen Preis von 4300 $ für ein vierstündiges Stelldichein geeinigt haben, inklusive Minibar und "künftige Termine". Die Damen des Emperor's Club V.I.P. kosten bis zu 3000 $ die Stunde.
Besonders gute Kunden gehören zum "Icon Club", die für einen Stundensatz von 5500 $ Zusatzleistungen erhalten. Die Betreiber des Prostituiertenrings sollen versucht haben, das verdiente Geld über Tarnkonten und Scheinfirmen reinzuwaschen.
"Dampfwalze" vor dem Rücktritt
Spitzers politische Karriere dürfte mit diesem Skandal beendet sein. Bereits am Dienstag gab es Gerüchte über seinen Rücktritt. Die Republikaner stellten ihm ein Ultimatum von 48 Stunden: Sollte er nicht freiwillig zurücktreten, würde man ein Amtsenthebungsverfahren in die Wege leiten.
Für den erfolgsverwöhnten 48-Jährigen, der sich selbst gern als "Dampfwalze" bezeichnet, ist dies bitter. In seiner Zeit als Generalstaatsanwalt hatte er sich in seiner Rolle des Wall-Street-Aufräumers gefallen - und sich innerhalb weniger Jahre weltweit einen Namen gemacht. Er war populär, weil seine Gegner haushoch überlegen schienen. Ein Dutzend junger Anwälte gegen die Hundertschaften der großen Häuser. Und er passte in die Zeit: Der Enron-Skandal und die Pleite des Telekomkonzerns Worldcom sorgten für öffentliche Empörung.
Anlageberater jagt Betrüger
Spitzer hatte bescheiden angefangen: Die Abteilung Anlegerschutz bei der Generalstaatsanwaltschaft war ursprünglich nicht viel mehr als ein Beschwerdebüro für Kleinanleger, die von Finanzhaien betrogen wurden. Doch als Eliot Spitzer 1999 in das Amt gewählt wurde, änderte sich das radikal. Alle hatten sie Angst vor diesem Mann mit dem Law-and-Order-Ruf, der sich die großen Namen und Institute vorknöpfte.
So brachte er nach dem Platzen der Internetblase die Untersuchungen gegen Analysten ins Rollen. Er entlarvte Aktienprofis, die ihren Kunden Papiere anpriesen, welche sie in privaten Mails als "Ramsch" bezeichneten. Der Fall endete mit einem Triumph: Die Banken zahlten 1,4 Mrd. Dollar, um die Vorwürfe beizulegen - ein Rekord. Spitzer ließ nicht locker, überführte Fondsmanager, die auf Kosten von Anteilseignern kurzfristig spekulierten - und er sorgte für ein Erdbeben in der Versicherungsbranche: Seine Untersuchungen wegen Betrugs führten zum Sturz des mächtigen AIG-Chefs Greenberg, der den weltgrößten Versicherer über 37 Jahre lang geführt hatte,
Zu seinen prominentesten Opfern aber gehört Richard "Dick" Grasso, Ex-Chef der New Yorker Börse. Grasso musste 2003 abtreten, als sich herausstellte, dass er rund 187 Mio $ an Bezügen kassierte. Spitzer erhob Anklage gegen Grasso.
"Ich hoffe, seine private Hölle ist die heißeste"
Mitverantwortlich für das Gehaltspaket war Ken Langone, früherer Chef der Baumarktkette Home Depot und damals Vorsitzender des für Gehaltszahlungen zuständigen Ausschusses. Eliot Spitzer ging gegen beide vor, was ihm zwei Feinde auf Lebenszeit bescherte. Langone ist noch immer empört: "Er hat den Ruf von Leuten ruiniert. Jeder brennt in seiner privaten Hölle, ich hoffe nur, dass seine die heißeste ist."
Spitzer gibt an, insgesamt rund 13 Mrd. $ für geschädigte Kunden und Investoren wiederbeschafft zu haben. Das meiste davon waren Vergleichszahlungen. Denn nur wenige der Fälle landeten vor Gericht. Es reichte oft, den Bankern oder Managern zu drohen. Das war es, was Spitzer die anhaltende Feindschaft seiner Opfer eintrug.
Spitzer nutzte die Erfolge als Sprungbrett für seine politischen Ambitionen - und gewann 2006 die Wahl zum Gouverneur mit einer historisch einmaligen Mehrheit von 69 Prozent. Er versprach, in der für Vetternwirtschaft und Seilschaften berüchtigten New Yorker Hauptstadt Albany aufzuräumen - wie an der Wall Street.
Er war damit auch ein Hoffnungsträger seiner Partei, er wurde sogar als mögliches Kabinettsmitglied unter einer Clinton-Regierung gehandelt. Hillary Clinton gab sich am Dienstag wortkarg, übermittelte nur ihre "besten Wünsche".
Das Fest der Schadenfreude geht weiter. In Anspielung auf Grasso witzelt am Dienstag einer im Finanzblog Dealmaker: "Eliot Spitzer verspricht, gegen exzessive Vergütung von Prostituierten vorzugehen."
Mitarbeit: Tobias Bayer, Jennifer Tiede