Olympia 2024. Das Feuer brennt, der Reitsport auch. Die besten Athletinnen, Athleten und Pferde aus 206 Nationen treten gegeneinander im sportlichen Vergleich an. Man kann guten Gewissens behaupten, dass sich dabei für die meisten teilnehmenden Menschen ein Lebenstraum erfüllt, aber wie ist es für die Pferde? Träumen Pferde überhaupt von Olympia?
Diese Frage stelle ich mir seit den letzten Olympischen Spielen und dem offensichtlichen Fehlverhalten verschiedener Reiter und Reiterinnen gegenüber ihren lebenden Sportgeräten. Ich sah, wie Pferde mit Reitern über gigantische Hindernisse sprangen und dabei teilweise aufs Brutalste stürzten, ich hörte von einem Schweizer Pferd namens "JetSet", das noch während der Spiele in Tokio eingeschläfert wurde, und ich beobachtete eine deutsche Reiterin, wie sie während des Wettkampfs weinend auf ihr Pferd einschlug.
Zur Person
Aurel Mertz (35) arbeitet als Comedian, Schauspieler und Moderator, unter anderem für das Format "deep und deutlich". Bereits in der Vergangenheit äußerte er sich immer wieder kritisch über Missstände im Reitsport.
Man muss kein Profi sein, um zu erkennen, dass es eine Diskrepanz zwischen den Träumen der Pferde und denen der Reiter gibt. In all meinen Auseinandersetzungen mit Reitsportfans hörte ich ein Argument – ganz gleich ob Springreiten, Dressur oder Vielseitigkeit. Es lautet: "Die Tiere machen in diesen Wettkämpfen nur Dinge, die sie auch in der Natur machen." Als Laie ist es natürlich schwer für mich zu beurteilen, ob die Tiere in der Natur in kleinen Boxen um die Welt fliegen, um unter den Augen der Weltöffentlichkeit bis zum Rande der Erschöpfung mit einem Menschen auf dem Rücken im Sinne des olympischen Gedankens gegeneinander anzutreten.
Es stellt sich die Frage, was der olympische Gedanke – "höher, schneller, weiter" – für Tier und Reiter bedeutet. So wurde die britische Medaillenhoffnung Charlotte Dujardin letzte Woche noch vor den Olympischen Spielen suspendiert, weil sie dabei gefilmt wurde, wie sie ihr Pferd 24-mal in einer Minute schlägt. Das ist hoch, schnell und geht weit, viel zu weit, es ist brutale Tierquälerei.
Und auch gegen den für Österreich startenden deutschen Springreiter Max Kühner wurde Strafanzeige gestellt, da ihm das sogenannte "Barren" vorgeworfen wird; Kühner weist die Vorwürfe zurück.
Beim tierschutzwidrigen Barren hält eine Person eine Stange aus Holz oder Metall so über das Hindernis, dass das Pferd beim Springen dagegen stößt – das Tier soll so höher springen. Auch das ist keine Methode, die unbedingt darauf schließen lässt, dass es sich dabei um einen natürlichen Prozess handelt.
Olympia: Es braucht einen ethisch vertretbaren Pferdesport
Apropos natürlicher Prozess. Als ich im Frühjahr für eine Fernsehsendung auf einer Pferdezucht-Messe der Frage nachging, wie so ein Sportpferd überhaupt gemacht wird, lernte ich, welch striktem Leistungsprinzip die Tiere noch vor Geburt unterliegen. Per künstlicher Befruchtung versucht man, elitäre Pferde mit anderen elitären Pferden zu kreuzen, um perfekte Wettkämpfer zu züchten.
Sind diese Tiere dann nicht umgänglich, könnten sie als Salami enden, so wurde es mir eindeutig signalisiert. Denn "niemand möchte sich mit schwierigen Pferden rumschlagen".
In jeder Facette präsentiert sich mir der Hochleistungs-Reitsport als Geschäft, in dem der Druck sowohl auf die Reiter als auch auf die Pferde zu hoch ist, um ethische Standards zu erfüllen. Die gewünschte Außendarstellung, es sei auch im Sinne der Tiere, für Wettkämpfe zu trainieren und an ihnen teilzunehmen, ist nicht mehr existent. Olympischer Leistungssport muss selbstbestimmt sein, wer garantiert, dass das möglich ist, wenn der Athlet ein Pferd ist?
Machen wir uns nichts vor, Reiter und Reiterinnen befinden sich in einem moralischen Dilemma. Möglicherweise wurden sie selbst in dieser Szene sozialisiert, haben es nicht anders gelernt, ihr Leben lang trainiert, um die Olympischen Spiele zu gewinnen, und da sind wir wieder beim Traum. Ihrem Traum, der nicht deckungsgleich mit dem Traum der Pferde ist.
Solange die Akteure sich diese Diskrepanz nicht eingestehen, wird es keine Veränderung geben, kein Potenzial für einen ethisch vertretbaren Pferdesport. "Höher, schneller, weiter" und Tierwohl sind nicht vereinbar, ohne diese Erkenntnis werden wir uns auch in den nächsten Wochen und Jahren auf traurige Nachrichten aus dem Reitsport einstellen müssen.