Russische Männer tauschen angeblich ein Königreich gegen einen guten Platz zum Angeln. Zur Not frönen sie ihrem Lieblingshobby aber auch an der völlig verdreckten Moskwa, die durch die Elf-Millionen-Metropole Moskau fließt. Die Angler kennen sogar in der Hauptstadt ein paar Plätze, an denen die Fische gut beißen.
Ölfilm im Algengestrüpp
Der bläuliche Ölfilm hält sich penetrant im Algengestrüpp im seichten Uferwasser der Moskwa. Zigarettenstummel, Bierdosen und Plastiktüten treiben flussabwärts. Genau dort, wo dieser Kloake das Kühlwasser aus einem Elektrizitätswerk zugeleitet wird, versucht Hobby-Angler Juri Sewostjanow sein Glück. Der 47-jährige Elektriker lehnt über der schmiedeeisernen Brüstung am Moskwa-Ufer. Hinter ihm rattern Autos und Busse die sechsspurige Bereschkowskaja-Uferstraße entlang. Sechs Meter unter ihm kreist ein Schwarm Kaulköpfe um seinen Köder.
"Zander, Brasse, Karausche und Plötze stehen an dieser Stelle Kopf an Kopf", sagt er. Und zwar Sommer wie Winter. Das Wasser aus dem E-Werk sei angenehm warm für die Fische und schmelze selbst bei minus 20 Grad das Eis auf der Moskwa. "Manchmal ziehen hier 20 Angler gleichzeitig einen Riesenzander nach dem anderen aus dem Wasser", verfällt der Elektriker ins Angler-Latein. Sewostjanow liebt das Angeln. "Dabei erhole ich mich, finde meinen Frieden", erzählt er, während hinter ihm Taxis, Busse und Schwerlastwagen die Uferstraße entlang dröhnen. "Und erst das Erfolgserlebnis, wenn ich einen richtig dicken Fisch aus der Moskwa ziehe", schwärmt er. "Mein größter Fisch war eine Brasse. 400 Gramm."
"Neben mir hat mal einer einen riesigen Zander aus dem Fluss gezogen. Der war mindestens einen halben Meter groß", sagt Sewostjanow. In seinen Augen ist das Ufer neben dem E-Werk die beste Angelstelle. Allerdings habe der Platz seine Tücken. "Oft verheddert sich die Angelschnur in der Stromleitung für den O-Bus, wenn man mit aller Wucht die Rute aus dem Wasser reißt", schmunzelt der Hobby-Fischer und zeigt auf die vielen Haken und Schnüre an dem Kabel. Manchmal baumeln die Fische tagelang hoch über dem Asphalt.
"Meine Frau isst sie nicht"
Freilich seien die Fische in Moskau nicht so gesund wie außerhalb der Metropole, meint Sewostjanow. "Meine Frau isst sie nicht. Auch ich habe manchmal das Gefühl, dass die Fische nicht so frisch riechen." Trotzdem lässt Sewostjanow sich seine Beute schmecken. Zeitungsartikel, wonach in der Moskwa Fische mit drei Augen gefangen werden, verweist er in das Reich der Fabel. "So ein Mutant ist mir jedenfalls noch nie untergekommen." Und überhaupt: Die Moskwa würde von Jahr zu Jahr sauberer. "Drei Mal täglich fährt ein Spezial-Kutter die Moskwa auf und ab und fischt Plastikdosen und anderen Müll aus dem Wasser", sagt Sewostjanow. Darum badeten die Menschen schon wieder im Fluss.
Mit sieben habe er angefangen mit dem Angeln, sagt der Elektriker. Sein Vater habe es ihn gelehrt, und er selbst habe seine beiden Söhne auf den Geschmack gebracht. "Mein Ältester geht oft mit seinen Freunden zum Angeln, mein Jüngster begleitet mich gelegentlich." Einen Angelschein oder eine Erlaubnis braucht man in Russland nicht.
Neben dem Elektriker versuchen es vier weitere Angler am Ufer neben dem Elektrizitätswerk. Einer von ihnen hat drei Ruten gleichzeitig ausgeworfen. Ein anderer fischt mit einem Spezial-Kescher auf Rollen, den er sechs Meter die Ufermauer hinab ins Wasser gelassen hat. "In Russland gibt es wirklich jeden Schnick-Schnack zu kaufen", spottet Sewostjanow. "Aber oft sind die alten Hasen mit ihren antiquierten Angelruten erfolgreicher als die modern ausgerüsteten Sportangler."