Unglück bei Expedition Reinhold Messner zum Tod des Bergträgers am K2: "Niemand möchte mehr Verantwortung übernehmen"

Reinhold Messner
Reinhold Messner: "Wir haben auf dem Berg mittlerweile eine Anonymität wie in der Stadt". Er hatte 1979 selbst den K2 bestiegen.
© Roland Weihrauch / dpa
Nach einem Sturz ist ein junger Bergträger Ende Juli während einer Expedition auf dem K2 verstorben. Er soll von anderen Bergsteigern ignoriert und zum Sterben liegen gelassen worden sein. Bergsteiger-Legende Reinhold Messner prangert fehlende Empathie bei der Expedition an.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei RTL.de  

Unter anderem erheben nun der Bergsteiger Wilhelm Steindl und Kameramann Philip Flämig harsche Vorwürfe gegen die beteiligten Bergsteiger der K2-Expedition Ende Juli. Sie sollen einfach über einen Familienvater drüber gestiegen sein und ihn zum Sterben zurückgelassen haben. Die beiden Männer waren selbst Teil der Expedition, aber zum Zeitpunkt des Unglücks nicht vor Ort. Extrembergsteiger und Alpinist Reinhold Messner ist fassungslos, übt im RTL-Interview harsche Kritik: "Die Solidarität geht in der Menge verloren, weil niemand mehr Verantwortung übernehmen möchte", so der 78-Jährige. Messner bestieg bereits alle 14 Achttausender. Den K2 erklomm er 1979. 

Hätte der Bergträger auf dem K2 gerettet werden können?

Die Frage, die sich vermutlich nun viele stellen, nämlich ob eine Rettung überhaupt möglich gewesen wäre, bejaht die Bergsteiger-Legende: "Eine Rettung wäre tadellos möglich gewesen." Messner erinnere sich noch an die Stelle, an welcher das Unglück passierte. "Man hätte ihn zunächst ein Stück abseilen müssen. Also nicht runtertragen, sondern runterrutschen lassen", beschreibt er den Vorgang.

Touristen, die auf einem schmalen Pfad in 8000 Meter Höhe einen Menschen retten sollen – ist das überhaupt machbar? Messner: "Ja, man braucht natürlich Männer die eine gewisse Erfahrung mitbringen, aber man braucht auch Männer, die alles dafür tun, den Menschen retten zu wollen. Das steckt eigentlich in unseren Genen. Das ist kein Gesetz, sondern wir Menschen sind so veranlagt. Wir verlieren diese Empathie nur in größeren Gemeinschaften."

Messner: "Menschen steigern den Egoismus immer weiter"

Der erfahrene Bergsteiger vergleicht den Vorfall auf dem K2 mit der einer Großstadt. "Wir haben auf dem Berg mittlerweile eine Anonymität wie in der Stadt. In der Stadt ist auch einer am Boden und alle gehen dran vorbei. In einem Bergdorf ist das so nicht, weil die Empathie funktioniert. Jetzt geht uns die Hilfsbreitschaft verloren, weil die Menschen den Egoismus immer weiter steigern. Nach der Corona-Krise haben wir das auch gesehen, der Egoismus wächst und die Solidarität schrumpft. Und wir sehen es deutlicher am Berg als in der Stadt."

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Tourismus löst das ursprüngliche Bergsteigen ab

Doch wer ist für diese Entwicklung am Berg verantwortlich? Immer mehr Agenturen und Reisebüros schlagen aus den Expeditionen Profit. Sowohl westliche als auch einheimische Firmen bieten eine Wanderung zum Gipfel der höchsten Berge als Abenteuer an. Somit steigen mittlerweile Touristen auf die über 8000 Meter hohen Berge, ohne geübt darin zu sein.

"Das urprüngliche Bergsteigen war ein Abenteuer, Eigenverantwortung und Risiko. Heute ist es genau umgekehrt. Heute werden Einheimische rekrutiert, um die Arbeit zu übernehmen. Sie müssen einen Weg finden – auf die höchsten Berge der Welt. Diese Wege werden so variiert, dass man eigentlich nicht herunterfallen kann, außer man ist voraus und baut diesen Weg. Das ist vermutlich bei dieser Expedition so entstanden", erklärt der Bergsteiger.

Was kann in Zukunft getan werden?

Wie können solche Vorfälle in Zukunft vermieden werden? Messner findet unter anderem, dass die Agenturen in die Verantwortung gezogen werden müssen. "Sie müssten den Leuten sagen, dass das Ganze schon schwieriger und gefährlicher ist, als sie denken. Die meisten gehen nur mit, weil sie das Gefühl haben, dass es sicher ist", sagt der 78-Jährige. Bei Mohammed Hassan ist vermutlich auch der Druck hinzugekommen, Geld zu verdienen. Der Familienvater hätte mit dem Geld, dass er für den Auf- und Abstieg bekommen hätte, die Schule seiner Kinder fünf Jahre lang bezahlen können.

Da die Menschen heutzutage ihren Aufstieg zum Gipfel kaufen, geht dieses Selbstverständnis anderen zu helfen, verloren, sagt Messner. So kann es auch bei Hassan gelaufen sein. Jeder ist davon ausgegangen, dass der nächste schon helfen wird – doch letztendlich half ihm niemand. 

RTL.de, amp, ckön

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