Räuberische Erpressung Abou-Chaker-Prozess auf der Zielgeraden: Es wird auf die Glaubwürdigkeit Bushidos ankommen

Anis Ferchichi, auch bekannt als Bushido, im Sommer 2022 auf dem Weg in den Gerichtssaal. Der Prozess gegen Arafat Abou-Chaker läuft seit August 2020, inzwischen gab es 95 Verhandlungstage.
Anis Ferchichi, auch bekannt als Bushido, im Sommer 2022 auf dem Weg in den Gerichtssaal. Der Prozess gegen Arafat Abou-Chaker läuft seit August 2020, inzwischen gab es 95 Verhandlungstage.
© Monika Skolimowska/dpa
Nach dreieinhalb Jahren wird Anfang Februar das Urteil im Prozess gegen Arafat Abou Chaker und drei seiner Brüder erwartet. Die sieben Verteidiger plädieren auf Freispruch in allen wesentlichen Punkten – für sie ist Kronzeuge Bushido ein gerissener Lügner und Manipulator

Rechtsanwalt Hansgeorg Birkhoff hat vor sich im Gerichtssaal eine Wasserflasche platziert. Ab und an öffnet er während seines Plädoyers den grünen Deckel und nimmt einen Schluck. Die Sache mit der Tonaufnahme ist für ihn ganz klar: "Sie lässt die Anklage zusammenbrechen wie ein Kartenhaus". Die Staatsanwaltschaft habe "alles auf die rhetorische Stärke des Herrn Ferchichi gestützt. Es kommt aber nicht auf die fesselnde Erzählung an, sondern auf die Substanz." Und da sieht Birkhoff bei der Beweisaufnahme und bei Anis Ferchichi alias Bushido das Kernproblem.

Die Tondatei reichte der Verteidiger von Arafat Abou-Chaker bei Gericht als Beweismittel ein, nachdem der stern ihre Existenz und den Inhalt enthüllt hatte. Der heimliche Mitschnitt dokumentiert ein Treffen am 18. Januar 2018, aus dem im Kern die Hauptvorwürfe in diesem Verfahren resultieren: versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung. Die Aufnahme widerspricht völlig der Darstellung Bushidos. 

Tondatei belegt Bushidos Aussage nicht

Bewegend und teils unter Tränen hatte der Rapper vor dem Auftauchen des Mitschnitts bei Polizei und Gericht geschildert, wie Arafat ihn an jenem Tag einsperrte im Büro mit seinen Brüdern, ihm eine 0,5-Liter-Wasserflasche ins Gesicht schlug, einen Stuhl auf ihn warf, seine verstorbenen Eltern beleidigte und Millionen von ihm forderte. "Du kommst hier nicht mehr lebendig raus", so zitiert Bushido Arafats Bruder Yasser. Weitere Zitate, die beschriebenen Gewaltszenen und der Satz von Yasser gleich zu Beginn sind auf dem Mitschnitt nicht zu hören. "Stattdessen hört man eine Begrüßung", sagt Birkhoff, dann "machst du mir auch einen Kaffee bitte". Herr Ferchichi gehe noch auf die Toilette", und dann werde die Sekretärin weggeschickt.

Was blieb Bushido und dessen Anwalt anderes übrig, als diese Tondatei zur Fälschung erklären? All die Indizien, die sie dabei wortreich anführten, hält Birkhoff für Nebelkerzen, Falschbehauptungen, "Muster ohne Wert". Die Oberstaatsanwältin raunte gleichwohl in ihrem Plädoyer: "Was geschnitten wurde, raus oder rein, wissen wir nicht." Sie forderte vier Jahre und vier Monate Haft für Arafat Abou-Chaker. Dabei hatte ein Sachverständiger Gutachter im Auftrag des Gerichts intensiv nach Nachweisen Manipulationen gesucht und keinen gefunden. Keinen. Anwalt Birkhoff sagt: "Ist es eine Fälschung? Ganz sicher nicht."

Verteidigung will Bushidos Glaubwürdigkeit erschüttern

Bei ihren Plädoyers am Freitag machen sich die insgesamt sieben Verteidiger daran, die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Bushido zu erschüttern. Das ist in dieser Massivität neu in einem Verfahren, dessen Verlauf und Resonanz klar von Bushidos Narrativ dominiert wurde: der Geschichte vom brutalen Clan-Boss Arafat Abou-Chaker, der den Rapper über Jahre peinigte und auch nach einer geschäftlichen Trennung abkassieren wollte. Bushido präsentierte seine Opfergeschichte an 28 Verhandlungstagen, seine Frau Anna-Maria sagte an fünf Tagen aus, sogar die Amazon-Doku-Serie "Bushido's Wahrheit" wurde als Beweismittel im Gerichtssaal vorgeführt.

Am Freitag fallen nun Begriffe wie "Manipulator", "Meister der Selbstinszenierung", ein "gnadenlos kalkulierender Mann", "Mephisto" – und gemeint ist Bushido. Dessen Frau Anna-Maria Ferchichi sei beim Streit mit Arafat "immer die Agitatorin" gewesen, die sehr zielgenau nur ihre Interessen wahrnehme. Langjährige Freunde und Weggefährten des Rappers, die als Zeugen ausgesagt hätten, seien von Bushido in intensiven Beziehungen benutzt worden, solange ihm nützlich waren. Für die Hauptvorwürfe der Staatsanwaltschaft gebe es neben Bushido nur Zeugen von Hörensagen – Bushidos Frau, sein Zivilanwalt, seine Steuerberaterin, seine Wahrheit. Andere Mitwisser habe er nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden, zum Beispiel drei Juristen, die über die unklaren Managementverträge mit Abou-Chaker hätten aufklären können.

Polizeibeamte, bestimmt keine Freunde von Arafat Abou-Chaker, hätten bestritten, dass dieser sie von einer Treppe gestoßen habe, wie es Bushido szenisch beschrieben hatte. Eine Szene mit einer Nanny, die als Buchhalterin angestellt war, sei schlichtweg erfunden – "Herr Ferchichi hat uns ein Märchen erzählt", sagt einer der Anwälte. Der Personenschutz für Bushido und seine Familie sei Teil der Inszenierung, wie schlimm Arafat Abou-Chaker doch sei, sagte Anwalt Michael Martens: Personenschützer mit Sturmhauben bei Gerichtsterminen, während Bushidos Kinder ungepixelt in Dokumentationen gezeigt würden.  

"Ich habe dem Herrn Ferchichi wegen seiner Persönlichkeit wenige Fragen gestellt", sagte Birkhoff, "weil es fruchtlos gewesen wäre". Ferchichi sei ein guter Entertainer, "was er erzählt, kommt prima rüber. Aber ist es deswegen wahr?" Strategie des Anwalts im Verfahren war offenbar, Bushido reden und reden und reden zu lassen – auch wenn das von seinem eigenen Mandanten ausgesprochene Disziplin verlangte. 

Abou-Chaker-Prozess: Urteil am 5. Februar

Nach einer Pause fehlt der Hauptangeklagte Arafat Abou-Chaker im Gerichtssaal. Der Richter fragt nach, Birkhoff scherzt: "Ich habe ihm nicht zur Flucht geraten." Alle lachen, da geht die Tür auf. Arafat Abou-Chaker erscheint mit einem Plastikbeutel voller 0,5-Liter-Wasserflaschen. "Entschuldigung, ich bin der Wasserholer", sagt er.

Für Bushido hat Birkhoff noch einen eher versteckten Vergleich parat, indem er auf einen älteren Medienbericht über "literarische Quacksalberei" verweist. Es geht darin um den Fall Binjamin Wilkomirski, Pseudonym des Autors einer eindrücklichen, von der Kritik begeistert rezipierten jüdischen Verfolgungsautobiografie. Die hatte sich Ende der 1990er Jahre als eindeutig gefälscht entpuppt, was Debatten auslöste darüber, ob er ein mediengeiler Maniker und Manipulator und Lügner war oder womöglich selbst an seine Pseudoerinnerungen glaubte. Der Autor blieb bei seiner Darstellung.

Das Urteil im Prozess wird voraussichtlich am 5. Februar gesprochen.

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