In Hamburg beginnt vor dem Jungendgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gegen einen 16-Jährigen. Eigentlich nichts Außergewöhnliches: Jedes Jahr werden dort unzählige Jugenddelikte verhandelt. Doch dieser Fall ist anders und bewegte nicht nur die Hansestadt. Es geht nicht um Diebstahl oder um Schlägereien. Der Jugendliche soll im Mai 2010 auf einem belebten Innstadt-Bahnhof einen Mann erstochen haben.
Es gibt Länder, in denen ist es nicht ungewöhnlich, wenn ein 16-Jähriger zum Mörder wird. Einheimische leben dort mit der Gefahr und meiden bestimmte Stadtviertel. In Deutschland sind solch schwere Verbrechen von Jugendlichen eine Rarität. Selbst in Großstädten wie Hamburg können Bürger und Besucher meist unbehelligt spazieren gehen oder die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Deutschland erscheint als sicher. Der 14. Mai 2010 zeigt, dass der Schein trügt.
Die Bahnstation Jungfernstieg befindet sich mitten in der Hamburger Innenstadt, direkt an der Alster. Der Bahnhof ist Startpunkt für den Einkaufsbummel in der hanseatischen City. Doch wenn die Geschäfte schließen, wenn Geschäftsleute ihre Büros und Kaufleute ihre Läden verlassen haben, wirkt der Jungfernstieg wie ausgestorben und nicht mehr wie die zentrale Anlaufstelle einer Millionenstadt. Nur zu besonderen Anlässen, wenn die Stadt feiert, füllt sich auch in den Abendstunden der Bahnsteig. So auch am 14. Mai 2010. Die Stadt feierte das Kirschblütenfest an der Alster, nur wenige Schritte von der Bahnstation entfernt.
"Was guckst du, was ist hier los?"
Der 19-jährige Mel D. traf sich am Jungfernstieg mit einem Freund. Um 21.21 Uhr stießen die beiden auf eine Gruppe Jugendlicher, die gerade aus einer S-Bahn stieg. "Was guckst du, was ist hier los?" sagte einer aus der Gruppe. Bei jugendlichen Großstädtern gehört eine raue Umgangssprache inzwischen zum normalen Ton, darum reagierte niemand auf die Sprüche. Wer hätte auch einschreiten sollen? Sicherheitspersonal war zu diesem Zeitpunkt nicht vor Ort. Ein Fehler, wie sich herausstellte: Ein paar Minuten später war Mel D. tot, er verblutete auf dem Bahnsteig. Die Bilder der Überwachungskamera zeigten, wie einer der Jugendlichen dem Opfer unvermittelt ein Messer in die Brust rammte.
Hätte der Tod des Opfers verhindert werden können? Den Behörden in Hamburg war der mutmaßliche Täter, der 16-Jährige Elias A., als jugendlicher Intensivtäter bekannt, er gehörte zur "Top 100" in dieser Kategorie. Neben anderen Delikten umfasst sein Vorstrafenregister auch Anklagen wegen Körperverletzung und räuberischer Erpressung. Noch vor dem Prozess musste sich Elias A. für ein Verbrechen aus dem Vorjahr verantworten.
Die Richter vor dem Jugendgericht müssen nun über die Schuld des Angeklagten befinden. Zwei weitere junge Männer aus der Gruppe stehen ebenfalls vor Gericht, ihnen wird schwere Körperverletzung vorgeworfen.