Zum Auftakt eines der größten Strafprozesse in der Geschichte der deutschen Bundeswehr hat die Staatsanwaltschaft Münster 18 Ausbildern schwere Misshandlung und Entwürdigung von Rekruten vorgeworfen. Laut der vor dem Landgericht Münster verlesenen Anklage sollen die Beschuldigten in über 160 Fällen ihre Untergebenen bei vier nachgestellten Geiselnahmen mit Wasser bespritzt, geschlagen, getreten und mit Elektrostößen misshandelt haben.
Mehrfach sei den Soldaten Wasser aus einer Kübelpumpe durch Nase und Mund gespritzt worden. Die Opfer hätten zum Teil Todesangst gehabt. Die Behauptung der Angeklagten, es habe sich um eine Übung gehandelt, sei schon deshalb nicht akzeptabel, weil vorher keine Unterweisung der Rekruten über das Verhalten bei einer Geiselnahme stattgefunden habe, erklärte der Staatsanwalt. Außerdem seien das Fesseln der Soldaten und die Anordnung von Liegestützen als Strafmaßnahme ausdrücklich nicht erlaubt.
Die Vorfälle in der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne waren im Jahr 2004 bekannt geworden und hatten prompt eine Welle des Entsetzens ausgelöst. Für den Prozess vor der 8. Strafkammer des Landgerichts sind 45 Verhandlungstage angesetzt. Den aktiven und ehemaligen Soldaten, darunter der Kompaniechef und 17 Unteroffiziere, drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.
Der 34-jährige Kompaniechef Ingo S. räumte vor dem Gericht ein, nachgestellte Geiselnahmen mündlich genehmigt zu haben. Dabei habe er sich als Hauptmann auf die Erfahrung seiner zuständigen Zugführer Martin D. und Michel H. verlassen, die die Übungen geplant hätten. Ingo S. stritt ab, von den Misshandlungen gewusst zu haben. Zwar habe er bei der ersten der vier Übungen selbst gesehen, wie kniende Rekruten in einer Sandgrube mit verbundenen Augen und gefesselten Händen mit Wasser bespritzt worden seien. Dies sei jedoch alles im Rahmen einer einsatznahen Ausbildung abgelaufen. Nach der Übung hätten einzelne Soldaten gesagt, die Ausbildung habe ihnen gut gefallen. Die Staatsanwaltschaft zählt den angeklagten Kompaniechef und die beiden Zugführer zu den Hauptbeschuldigten.
Alle beschuldigten Ausbilder haben der Staatsanwaltschaft zufolge Auslandserfahrungen auf dem Balkan oder in Afghanistan gemacht. Bei der Vorbereitung auf diese Einsätze hätten sie selbst Übungen zu Geiselnahmen erlebt und diese offenbar auch Soldaten in der Grundausbildung bieten wollen. Die Rekruten hatten den Ermittlungen zufolge jederzeit die Möglichkeit, durch ein Codewort die Übung abzubrechen. Davon wurde aber laut Staatsanwaltschaft nur selten Gebrauch gemacht, da das Codewort "Tiffy" in der Kompanie mit "Weichei" gleichgesetzt worden sei. Für den Prozess, der voraussichtlich bis zum Jahresende andauern wird, sind zunächst 45 Verhandlungstage terminiert.