Jeden Tag rauschen hunderttausende Berliner und Touristen am größten Bordell der Hauptstadt vorbei. Nicht wenige dürften sich schon einmal gefragt haben, was in dem dreistöckigen Betonklotz vor sich geht. In der Nacht zum Donnerstag brachte die Berliner Polizei ein wenig mehr Licht ins Milieu und ging mit einer spektakulären Razzia gegen den Saunaclub "Artemis" an der Autobahnabfahrt am Funkturm vor.
In enger Zusammenarbeit mit Polizei, Hauptzollamt und Steuerfahndung gelang der Berliner Staatsanwaltschaft ein Coup. Die Betreiber des über die Stadt hinaus bekannten Bordells hatten sich bislang als Beweis dafür präsentiert, dass käuflicher Sex mit der Menschenwürde sowie Recht und Gesetz vereinbar sei.
Verbindungen zur kriminellen Hells-Angels-Szene
Nun scheint klar, dass nicht wenige der im "Artemis" arbeitenden Frauen doch Zuhälter hatten - Männer aus der Berliner Hells-Angels-Szene, die die zumeist aus Osteuropa und muslimischen Ländern stammenden Frauen den Bordellbetreibern "direkt zuführten", wie Staatsanwalt Sjors Kampstra berichtete. Niemand solle glauben, dass die Rocker nicht auch Gewalt anwendeten, um die Frauen unter Druck zu setzen.
Angestoßen wurden die Ermittlungen demnach im vergangenen Sommer, als sich eine Prostituierte an die Behörden wandte. Ihr Lebensgefährte und Hells-Angels-Mitglied habe sie derart "schwer malträtiert", dass die Frau über den Alltag im Riesenbordell ausgepackt habe.
Angeblich ist das "Artemis" ein Dienstleister für selbständig arbeitende Prostituierte, die gegen feste Beträge die Räumlichkeiten nutzen dürfen. Nun erfuhren die Fahnder aber, dass die Frauen nur zum Schein selbständig arbeiteten. Ihnen würden nicht nur Arbeitszeiten vorgegeben, sondern auch Preise und Sexualpraktiken diktiert. Die Frauen würden wie Angestellte behandelt und "maximal ausgebeutet", sagte Kampstra.
Mehr als 900 Beamte an Razzia in "Artemis" beteiligt
Mehr als 900 Beamte wurden in einer konzertierten Aktion für den Mittwochabend mobilisiert. Polizisten, Zoll- und Steuerfahnder trafen bei der Festnahme der zwei Betreiber und von vier Hausdamen nicht nur 118 Prostituierte an, sondern auch mehr als hundert Freier. Die noch in der Nacht vernommenen 96 Prostituierten räumten demnach die Zustände im "Artemis" zum großen Teil ein.
Zeitgleich wurden sechs Objekte in Berlin sowie sechs weitere in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen durchsucht - Wohnungen genauso wie Steuerbüros. Die Polizei bechlagnahmte Wertgegenstände wie Autos und Immobilien sowie eine hohe sechsstellige Summe in bar - Gesamtwert 6,4 Millionen Euro.
Wertgegenstände und Geld könnten später dazu dienen, Schaden zu begleichen. Allein der Rentenversicherungsträger sei "nach vorsichtigen Schätzungen um 17,5 Millionen Euro betrogen worden", sagte Michael Kulus vom Berliner Hauptzollamt. Hinzu kommt der Vorwurf der Steuerhinterziehung.
Hells-Angels-Mitglieder erhielten freien Eintritt
"Die historisch Bewanderten würden sagen, wir sind auf den Spuren der Strafverfolgung von Al Capone gelandet - und das ist auch so", sagte Berlins leitender Staatsanwalt Andreas Behm. Der US-Mafia-Boss der 20er Jahre war über Steuervergehen gestolpert.
Die Staatsanwälte betonten, dass es sich keinesfalls um Bagatelldelikte handle. Vielmehr hätten die Verstöße ein "System der gewalttätigen und illegalen Prostitution" gestützt, um die Frauen in Abhängigkeit zu halten. Die verhafteten Hausdamen hätten das enge Regelsystem im Alltag durchgesetzt. Es wird deshalb auch wegen Menschenhandels und Zuhälterei ermittelt.
Über die festgenommenen Betreiber sagte Kampstra: "Sie sind nicht die, die sich die Hände schmutzig machen - sie verwalten die Kriminalität und setzen sie um." Für die Schmutzarbeit gab es demnach unter anderem die Hells Angels, deren Mitglieder freien Eintritt erhielten, wenn sie im "Artemis" ihre Lebensgefährtinnen und deren Kolleginnen aufsuchten.