Edith Thompson und ihr Ehemann Percy machen sich am 3. Oktober einen schönen Abend in einem Londoner Theater, sie schauen sich die Komödie "The Dippers" an. Es sollte der letzte Abend sein, den sie zusammen verbringen. Auf dem Heimweg wird Percy Thompson plötzlich von einem anderen Mann mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Die Blutspur auf der Straße zieht sich 13 Meter lang. Edith kann nur zusehen und noch einen Arzt rufen – aber zu spät: Ihr Mann stirbt noch am Tatort.
Gegenüber der Polizei erwähnt sie jedoch keinen Messerangriff, stattdessen behauptet sie, ihr Mann habe einen Anfall gehabt – eine seltsame Erklärung für die Stichwunden. Am nächsten Tag nimmt die Polizei den Täter fest. Es ist Frederick Bywaters, den eine besondere Beziehung mit Edith Thompson verbindet. Beide kennen sich schon seit der Schulzeit und haben schon seit mehr als einem Jahr eine Affäre, von der Percy nichts weiß.
Was wusste Edith Thompson vom Mord an ihrem Mann?
Mit diesen Fakten konfrontiert, kann Edith ihre Version des Abends nicht mehr halten. Unter Tränen identifiziert sie Bywaters als den Messerstecher. Und schnell stellt sich die Frage: Wie viel wusste sie von den Plänen ihres heimlichen Geliebten – hatte sie ihn dazu angestiftet oder sogar bei der Ausführung unterstützt?
Die 28 Jahre alte Edith war schon immer eine Frau gewesen, die nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit strebte. Mit 22 heiratete sie Percy Thompson. Edith war nicht nur berufstätig, sondern auch leitende Angestellte in einer Hutmacherei und verdiente als solche sogar mehr Geld als ihr Ehemann – Anfang der Zwanziger Jahre eine absolute Ausnahmeerscheinung. Im Sommer 1921 begann sie eine Affäre mit dem acht Jahre jüngeren Bywaters. Ihr Geliebter ist viel mit der Handelsmarine zur See unterwegs, sie schreiben sich Briefe, die ihnen später zum Verhängnis werden.
Anhand der Liebesbriefe kommt die Polizei nach dem Mord der Verbindung zwischen Bywaters und Thompson auf die Schliche. Das lenkt den Verdacht auch auf Edith. Zunächst beteuert Bywaters, unschuldig zu sein, gibt die Tat dann aber doch zu. Er habe in Selbstverteidigung gehandelt, weil Percy Thompson ihn zuerst angegriffen habe. Außerdem habe er allein gehandelt, und auch Edith bestreitet vehement, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein. "Mrs. Thompson wusste nichts von meinen Plänen", bestätigt Bywaters in Verhören.
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Ein Prozess als öffentliches Großereignis
Dennoch werden beide wegen Mordes angeklagt. Der Prozess gegen das Liebespaar erregt große öffentliche Aufmerksamkeit, er ist ein gesellschaftliches Ereignis. Zuschauer strömen in den Gerichtssaal, hitzig wird diskutiert, ob Edith Thompson nun schuldig sei oder nicht. Intime Details aus den Briefen werden vor Gericht ausgebreitet. Die Öffentlichkeit sieht Edith immer mehr als eine unsympathische Frau, die einen deutlich jüngeren Mann zu einem Mord verführt habe. Beweise dafür gab es indes keine, und auch Bywaters blieb bei seiner Darstellung, alleine gehandelt zu haben.
Doch nicht zuletzt Edith Thomsons Auflehnung gegen die gesellschaftlichen Normen jener Zeit – allein schon durch ihren Ehebruch und die freizügige Wortwahl in ihren Briefen – führen dazu, dass sie ebenso wie Bywaters zum Tode verurteilt wird. Das Urteil sorgt für noch größere Diskussionen als der Prozess. Im Januar 1923 wird das Urteil gegen Thompson und Bywaters vollstreckt. Wenn jemals eine Frau nur wegen der Vorurteile der Öffentlichkeit und ohne jeden Beweis gehängt worden sei, dann sei das Edith Thompson, schreibt der zeitgenössische Autor Edgar Wallace.
Quellen: BBC / "The Telegraph"