Europäischer Gerichtshof gestärkt Bundesverfassungsgericht scheut den offenen Konflikt

Karlsruhe geht auf die EU zu: Das Bundesverfassungsgericht vermeidet einen offenen Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof und übt sich in Selbstbeschränkung. Das höchste deutsche Gericht akzeptierte das EU-Verbot der Altersdiskriminierung.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Kompetenzen der europäischen Gerichte gestärkt. In einer Grundsatzentscheidung bestätigte das höchste deutsche Gericht die Wirksamkeit eines umstrittenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur Befristung von Arbeitsverträgen. Es akzeptierte damit das EU- Verbot der Altersdiskriminierung.

Das Karlsruher Gericht setzte sich selbst in EU-Fragen Schranken: Eine Kontrolle europäischer Entscheidungen komme nur in Betracht, wenn die europäischen Institutionen ihre Kompetenzen schwerwiegend überschritten, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. (Az. 2 BvR 2661/06)

Das Urteil wurde von den Europapolitikern in Berlin begrüßt. Sie hatten befürchtet, dass das Bundesverfassungsgericht nach seiner Entscheidung zum Lissabon-Vertrag vom Juni 2009 die Kompetenzen der EU-Gerichte und damit der Verlagerung von Zuständigkeiten nach Brüssel weiter einschränken könnte. "Das Urteil hat praktisch keine Auswirkung", sagte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums auf dpa-Anfrage zu den Folgen für das deutsche Arbeitsrecht. Es ergebe sich keine neue Lage und kein Handlungsbedarf.

Im konkreten Fall hatte der Kläger des Ausgangsverfahrens 2003 im Zuge der Hartz-IV-Gesetze einen befristeten Arbeitsvertrag bei dem Automobilzulieferer Honeywell Bremsbeläge bekommen. Die Befristung erfolgte aufgrund einer Sonderregelung für Arbeitnehmer, die älter als 52 Jahre sind. Der EuGH entschied jedoch, dass die Regelung zur Befristung gegen das europäische Verbot der Altersdiskriminierung verstößt. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Befristung daraufhin für unwirksam.

Nach Ansicht der klagenden Firma Honeywell, aber auch vieler Rechtswissenschaftler hatte der EuGH mit dem Urteil zu den befristeten Arbeitsverhältnissen seine Kompetenzen überschritten. Ein allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung gebe es im Gemeinschaftsrecht nicht. Der EuGH habe die Grenzen erlaubter Rechtsfortbildung verlassen und sich gewissermaßen als Erfinder von EU-Recht betätigt.

Nun bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Verbindlichkeit der EuGH-Entscheidung. Zugleich nahmen die Karlsruher Richter ihre Kompetenz zur Überprüfung europäischer Entscheidungen zurück. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle präzisierte damit seine umstrittene Entscheidung zum EU-Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2009.

Damals hatten die Richter betont, dass die EU nach dem "Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung" nur handeln darf, soweit ihr Kompetenzen von den Mitgliedstaaten eingeräumt wurden. Für den Fall "ersichtlicher Grenzüberschreitungen" beanspruchten die Richter damals die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kontrolle.

Nun stellte das Verfassungsgericht klar: Eine Kontrolle komme nur in Betracht, wenn "das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union (...) erheblich ins Gewicht fällt". Die aktuelle Entscheidung war allerdings innerhalb des Senats umstritten: Richter Herbert Landau widersprach dem Ergebnis in einem abweichenden Votum. Er ist der Auffassung, dass der EuGH seine Kompetenzen überschritten hat.

Der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer sagte dem "Tagesspiegel": "Der Beschluss trägt zum Rechtsfrieden bei." Das Urteil zeige, dass zwischen dem Karlsruher Gericht und europäischen Instanzen ein "kooperatives Verhältnis" herrsche.

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck begrüßte das Urteil: "damit sind die Gegner der europäischen Antidiskriminierungspolitik endgültig gescheitert." Die Bundesregierung müsse die europäische Antidiskriminierungspolitik jetzt ernst nehmen.

DPA
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