Dirk S. ist noch einmal in den Wald gekommen, an die Stelle, an der 2006 ein unbekannter Täter die seit Monaten vermisste Frauke Liebs abgelegt hatte. Es ist ein entlegenes Waldstück im Kreis Lichtenau, 20 Kilometer südöstlich von Paderborn. Damals gehörte dieses Waldstück zu einem Jagdbezirk, in dem Dirk S. regelmäßig unterwegs war. Seit Jahren war er nicht mehr hier. Früher stand hier dichter Fichtenwald, doch in den vergangenen Jahren hat der Borkenkäfer an dieser Ecke gewütet, viele Bäume mussten abgeholzt werden. Doch obwohl heute alles anders aussieht als damals, findet sich Dirk S. gleich zurecht und zeigt auf die Kuhle im Wald, in der damals die Leiche lag.
Erinnern Sie sich an den 4. Oktober 2006, den Tag, an dem Sie Fraukes Leichnam fanden?
Es war ein normaler Wochentag, es ging stark auf die Dämmerung zu. Draußen war es herbstlich, aber trocken. Ich hatte meine Runde durch das Jagdrevier gedreht und war schon auf dem Heimweg.
Und dann?
Ich bin mit meinem Auto vom Waldweg auf die Landstraße gebogen. Und als ich beschleunigte, sah ich plötzlich auf der rechten Seite der Straße zertretenes Gestrüpp, das aussah, als könnte es dort einen Wildunfall gegeben haben. Ich dachte mir: Bevor da jetzt ein Tier angefahren und verletzt ist, guckst Du mal lieber, um es dann zu erlösen. Fallwild kommt hier schon mal vor.
Sind Sie tief in den Wald gelaufen?
Nein, ich bin nur durch den Graben, den kleinen Hang hoch, ein paar Meter der Spur nach. Bis zu der Stelle unter den Fichten. Mit war gleich klar, auf was ich gestoßen bin.
Warum?
Ich hatte die Adidas-Schuhe gesehen, da wusste ich, dass die Knochen zu einem Menschen gehören. Ich habe dann gleich die Polizei verständigt.
Dachten Sie gleich an Frauke Liebs?
Nein, damit habe ich es erst einmal nicht in Verbindung gebracht. Ich kannte zwar den Namen aus den Medien, wusste, dass sie nach einem Fußballspiel verschwunden war. Aber daran hatte ich weiß Gott nicht gedacht.
War die Stelle gut zugänglich?
Man brauchte nur in den kleinen Stichweg hineinfahren, und dann lag die Leiche im Grunde genommen nur fünf, sechs Meter links davon.
Musste der Täter* denn befürchten, dort beobachtet zu werden?
Nein, die Stelle war nicht gut einsehbar. Damals hatte auch der Borkenkäfer an der Ecke noch nicht zugeschlagen. Ich glaube, man hätte hier das Auto seelenruhig abstellen können, ohne dass das jemandem aufgefallen wäre. Die Autos fahren hier oben mit 100 vorbei. Und nachts gibt es keine Beleuchtung, keine Spaziergänger.
Tagsüber schon?
Ja, an dem nahegelegenen Weg gingen auch schon mal Spaziergänger her.
Warum, glauben Sie, hat man den Leichnam dann nicht früher gefunden?
Es ist überraschend, dass es so lange gedauert hat, bis man sie fand. Ich habe da auch keine Erklärung.
Sie haben sich bisher nie öffentlich geäußert. Warum jetzt?
Weil die Mutter endlich wissen will, was passiert ist. Das kann man sehr gut nachvollziehen. Da will ich meinen Beitrag leisten, dass vielleicht endlich jemand auspackt.
Warum wollen Sie sich nicht zeigen?
Ich habe sie nur gefunden, ich möchte nicht an die Öffentlichkeit.
Wie sehr hat Sie die Situation damals belastet?
Tja. Ich kann Ihnen heute gar nicht mehr sagen, was ich damals gedacht und gefühlt habe. Dass so etwas passiert, ist so unwahrscheinlich. Schwer zu fassen.
Was hat es mit Ihnen gemacht?
Was soll das mit einem machen? Man macht sich seine Gedanken darüber und irgendwann versucht man, es in eine Schublade zu packen... und da drinnen zu lassen.
Wie ist es für Sie, wieder an diesem Ort zu sein?
Nach 15 Jahren wieder zu sein, das wühlt alles wieder auf. Aber das Schlimmste ist, dass der Täter immer noch nicht gefasst ist.
Sachdienliche Hinweise an das Polizeipräsidium Bielefeld: 0521/ 545-0
Oder an Fraukes Mutter Ingrid Liebs: www.frauke-liebs.de
* Aus Gründen der Lesbarkeit belassen wir es in allen Berichten zum Fall Frauke Liebs bei der männlichen Form. Es ist aber unklar, ob es sich um einen Täter, eine Täterin oder mehrere Täter handelt.
Die Zitate in diesem Beitrag entstammen teilweise aus Videointerviews, die für die RTL-Plus-Dokumentation „Der letzte Anruf. Wer hat Frauke Liebs getötet?“ geführt wurden. Aus Gründen der Lesbarkeit wurden sie stellenweise redaktionell bearbeitet.