Roman von Alvensleben, 56, ist Strafrechtler in Hameln in Niedersachsen. Seit 2021 berät er die Mutter der 2006 in Paderborn entführten und ermordeten Frauke. Das Verbrechen ist bis heute ungeklärt und zählt zu den rätselhaftesten Kriminalfällen Deutschlands. Weitere Details zum Fall finden sich hier.
Warum glauben Sie ist dieser Fall noch aufzuklären?
Ich halte es für wahrscheinlich, dass der Mörder genau verfolgt, was in der Öffentlichkeit über den Fall berichtet wird. Das wird ihn möglicherweise unter Druck setzen, weil er spürt, dass die Suche nach ihm nicht aufgehört hat. Im Gegenteil: Dass sie gerade wieder an Fahrt gewinnt, weil in den Medien berichtet wird zum Fall, Zeugenaufrufe publik werden, neue Hinweise an die Behörden gehen.
Sie glauben, er verfolgt das?
Ja, mit Sicherheit. Und vielleicht verspürt er neben diesem öffentlichen Druck auch Schuldgefühle. Ich glaube nicht, dass es sich um einen eiskalten Mörder handelt. Ich halte es daher auch nicht für ausgeschlossen, dass solch ein Mensch im richtigen Moment, wenn der Druck nur groß genug ist und er es einfach nicht mehr aushält, sagt: Ich war’s, und jetzt endlich lasse ich das alles raus und nehme den Angehörigen die Ungewissheit, damit sie endlich erfahren, was damals eigentlich passiert ist und warum Frauke sterben musste.
Glauben Sie, es ist allein der Täter, der das in der Hand hat? Oder vermuten Sie, dass es weitere Menschen gibt, die wissen, wer Frauke getötet hat?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gesamte Umfeld des Täters nichts mitbekommen hat. Der Täter hat Frauke mindestens eine Woche lang gefangen gehalten, irgendwo muss er sie ja eingesperrt haben, er ist mit ihr immer wieder in einem Fahrzeug umhergefahren. Das alles erfordert einen hohen logistischen Aufwand, weil er Frauke ja ununterbrochen unter Kontrolle halten musste.
Sie glauben, er muss sich irgendwie verraten haben?
Ich kann mir gut vorstellen, dass Leute aus seinem Umfeld Beobachtungen gemacht haben, die sie vielleicht nicht in den richtigen Kontext gebracht haben. Vielleicht hatten sie ein mulmiges Gefühl, konnten sich aber nicht vorstellen, dass derjenige wirklich etwas mit dem Verschwinden von Frauke Liebs zu tun hatte. Vielleicht hatten sie auch den Verdacht, aber er hat sie mit Ausreden besänftigt. Oder sie haben aus Verbundenheit mit dem Täter nichts gesagt.
Und warum sollen sie jetzt plötzlich etwas sagen?
Weil fast 17 Jahre vergangen sind. Da ändert sich vieles. Solche Mitwisser haben jetzt zum Beispiel rechtlich keine Folgen mehr zu befürchten.
Wie meinen Sie das?
Das Wissen über den Täter allein ist nicht mehr strafbar, Delikte wie Strafvereitelung und Begünstigung sind ja verjährt.
Und wenn es jemanden gibt, der dem Täter sogar geholfen hat?
Das ist natürlich etwas anderes. Eine Mittäterschaft verjährt nicht. Aber auch hier kann ein Richter großzügig sein und demjenigen entgegenkommen. Dafür gibt es die sogenannte Kronzeugenregelung. Sie ermöglicht, dass ein Mittäter, der als entscheidender Zeuge aussagt, nur eine milde oder sogar gar keine Strafe erhält.
Aber warum soll jemand reden, der 17 Jahre nicht geredet hat?
Weil er oder sie Abstand zum Täter gewonnen haben könnte. Vielleicht ist man sich nicht mehr so nahe wie damals. Auch auf einem Mitwisser kann das Gewissen schwer lasten, immerhin schützt er den Menschen, der für den Tod von Frauke verantwortlich ist. Wie lang hält man das aus? Irgendwann will man diese Last doch loswerden. Dieser Mord kann noch aufgeklärt werden, es liegt in der Hand eines entscheidenden Zeugen.
Sie beraten Fraukes Mutter, Ingrid Liebs. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist es, dass Fraukes Mutter Einsicht in alle Ermittlungsakten bekommt. Warum?
'Sie ist die Mutter, wohl niemand anderes kennt Frauke und ihr damaliges Umfeld so gut wie sie. Die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis, sie haben über alles gesprochen, auch über neue und alte Bekannte, die Frauke kennengelernt hat.
Warum ist die Perspektive von Ingrid Liebs so wichtig?
Weil es Hinweise darauf gibt, dass der Täter wahrscheinlich aus Fraukes Umfeld stammt. Vielleicht handelt es sich um einen eher flüchtigen Freund, das wissen wir nicht, aber in der Akte könnten Namen auftauchen, die vielleicht der Polizei nichts Besonderes sagen, aber Ingrid Liebs sehr wohl. Deswegen kann Fraukes Mutter in diesem Fall eine große Hilfe sein, da bin ich mir ganz sicher.
Warum zögert die Staatsanwaltschaft bei der Freigabe der Akten?
Weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt. Es ist üblich, dass Angehörige erst im Zuge eines Gerichtsverfahrens in die Akten schauen. Aber hier halte ich es für klug, davon abzuweichen und die Hilfe von Fraukes Mutter bei den Ermittlungen in Anspruch zu nehmen. Im Ansatz ist das ja auch schon geschehen, einen Teil der Akten konnte Ingrid Liebs einsehen, aber die meisten noch nicht. Ich hoffe, die Staatsanwaltschaft erkennt, welche Chance darin liegt, ihr auch die restlichen Akten zur Einsicht zu geben. Die Mordkommission sollte Fraukes Mutter ins Team holen. Sie können dadurch nichts verlieren, aber eine Menge gewinnen.