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Mordfall Frauke Liebs Eine Mutter spricht zum Mörder ihrer Tochter

Ingrid Liebs
Ingrid Liebs wendet sich direkt an den Mörder ihrer Tochter Frauke
© Marcus Simaitis
Frauke Liebs wurde mit 21 Jahren entführt und ermordet – von wem, ist bis heute unbekannt. Hier wendet sich Fraukes Mutter Ingrid Liebs direkt an den Täter. 

Frauke Liebs wurde am 20. Juni 2006 nach einem Pub-Besuch in Paderborn entführt und mindestens eine Woche lang gefangen gehalten. In dieser Woche meldete sich Frauke immer wieder per Handy bei ihrem Mitbewohner und Ex-Freund; sie telefonierte auch mit ihrem Bruder und ihrer Schwester, sie klang seltsam, ihre Stimme verschwommen, Frauke verriet nicht, was los war. Monate später fand man ihre Leiche in einem entlegenen Wald.

Das Verbrechen ist einer der rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands. Der stern hat dazu einen 13-teiligen Podcast veröffentlicht. In der vorerst letzten Folge der Serie wendet sich Fraukes Mutter Ingrid Liebs direkt an den unbekannten Menschen, der ihre Tochter getötet hat – in der Hoffnung, dass er den Podcast hört.

Der stern veröffentlicht hier die Ansprache von Ingrid Liebs in voller Länge:

„Sie haben in den vergangenen Folgen erlebt, welche Folgen Fraukes Tod für alle in der Familie hatte, welches Leid er über Geschwister, Eltern und Freunde von Frauke gebracht hat. Was uns nicht loslässt, ist die Frage nach dem Teil des Geschehens, den wir nicht wissen. Die Frage danach, was genau nach Fraukes Verlassen des Pubs geschehen ist. Und warum.

Es würde für uns ein Stück Frieden bedeuten, wenn wir wüssten, warum Frauke nicht mehr bei uns ist, warum wir nicht mehr mit ihr lachen können, warum wir sie nicht mehr in den Arm nehmen können. 

Ich habe im Zentrum meines Hauses eine Bildergalerie hängen mit Fotos meiner Kinder und meines Enkelkindes, an denen ich täglich vorbeigehe. Oft bleibt mein Blick an den Fotos von Frauke hängen. Und ich wünschte, sie könnte mit mir reden, könnte mir erzählen, was geschehen ist. Und warum sie nicht mehr bei uns ist? 

Oft frage ich mich, ob ich etwas falsch gemacht habe, nachdem Frauke verschwunden ist. Habe ich nicht intensiv genug gesucht? Habe ich die Polizei nicht massiv genug bearbeitet, endlich eine effektive Suche nach Frauke zu starten? Habe ich das Umfeld von Frauke nicht differenziert genug untersucht? Das heißt, letztlich stellt sich auch mir immer wieder die Frage, was ich versäumt habe, welche Schuld mich trifft. Das tut weh. Und verstärkt noch meinen Schmerz über den Verlust meiner geliebten Frauke, die mit ihrer markanten Stimme so fröhlich lachen konnte, so einfühlsam auf andere Menschen zugehen konnte, die eine geliebte Tochter, Schwester und Freundin war. 

In dem Podcast haben Sie die Fakten, die wir haben, und die Vermutungen, die darauf aufbauen, gehört. Wir haben versucht, genau zu analysieren, welche Botschaften die Telefonate von Frauke mit Chris, mit ihrem Bruder Frank, mit ihrer Schwester Karen enthielten, ihre Stimme, ihre Worte. Ihre vielleicht versteckten Hinweise haben wir verglichen und uns dabei Frauke vorgestellt, so wie wir sie kannten.

Wir haben Fraukes beim ersten Anruf verwaschene Stimme, von der Chris berichtete, wahrgenommen, haben die klare Ansage an Frank „Frag mich nicht, ich erkläre dir alles, wenn ich wieder zu Hause bin“ analysiert, die Frauke am nächsten Tag auf die Vorhaltungen ihres Bruders machte, dass sie die ganze Familie in Angst versetze. Und auch das letzte, recht lange Gespräch am Ende einer verzweifelten Woche haben wir immer wieder gelesen. 

Fraukes Schwester Karen, die ein recht enges Verhältnis zu Frauke hatte, bekommt heute noch Tränen in die Augen, wenn sie davon erzählt, dass sie gefühlt hatte, dass Frauke sich verabschieden musste, weil Frauke wohl gewusst habe, dass es keinen weiteren Anruf geben werde, dass sie am Ende ihres Lebens angekommen war. „Sag Mama und Papa, dass ich sie liebe“ sind Fraukes letzte Worte an uns als ihre Eltern. Worte, die immer noch weh tun, die bis heute die Tränen bei mir als Mutter kommen lassen. 

Frauke Liebs
Frauke Liebs telefonierte noch mehrmals nach ihrem Verschwinden mit ihrer Schwester und einem Freund, bis die Anrufe ganz aufhörten
© privat

Wir wissen nicht, ob Frauke uns noch weitere Botschaften mit diesem Gespräch schicken wollte, die wir nicht entschlüsseln konnten, aber wir glauben zu wissen, dass auch Sie als Täter eine Zeit des Aufs und Abs erlebt haben, dass Sie mit sich am Ringen waren, was mit Frauke geschehen sollte. Dass Sie wohl Anläufe genommen haben, sie nach Hause zu bringen und Frauke dadurch Hoffnung vermittelt haben. Weil Sie unsicher waren? 

Frauke hatte ein gutes Gespür für die Stimmung der Menschen, und sie hat gehofft und gekämpft, um wieder nach Hause zu kommen. „Ich wäre jetzt gern wieder zu Hause“, sagt sie am Schluss. 

Die Zeit der Ungewissheit wurde dann nach 14 Wochen mit der für uns trostlosen Nachricht beendet, dass Fraukes lebloser Körper gefunden wurde. Im Totengrund

Fundort von Frauke Liebs' Leiche im Wald
Der Fundort von Fraukes Leichnam liegt gleich an der L817 in Lichtenau
© Marcus Simaitis

All Ihren persönlichen Besitz haben Sie als Ihr letzter Begleiter an sich genommen, bis auf ein Kreuz, das sie trug. Und das ihr christlichen Schutz im Tod gab? Wir wissen es nicht. Aber ich glaube, es passt zu Ihren Anläufen, Frauke nach Hause zu bringen und zu der katholisch-christlich geprägten Gegend des Fundortes. Man lässt dort einen Menschen nicht einfach gehen und sterben, wenn es die Möglichkeit einer kleinen christlichen Geste gibt.

War es so? War auch für Sie dieser Abschied nicht einfach? War er das Resultat von Unsicherheit, nicht loslassen wollen? Verzweiflung? Erzählen Sie mir, was war? 

Ich weiß nicht, wer Sie sind, ich weiß nicht, ob wir in der Familie mit unserer Annahme richtig liegen, dass wir es nicht mit einem kaltblütigen Täter, der alles akribisch geplant hatte, zu tun haben, sondern mit jemandem, dem etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Aber es täte uns gut, wenn wir mehr erfahren könnten. Wenn wir so die Chance bekämen, ein Stück abzuschließen. Loszulassen.

Deshalb meine eindringliche Bitte an Sie, an den Täter: Nehmen Sie Kontakt mit mir auf (z. B. über www.frauke-liebs.de), erzählen Sie mir, was damals geschehen ist. 

Ich glaube, dass es nicht nur uns, die wir Frauke gut gekannt und geliebt haben, helfen würde, das Geschehen aufgeklärt zu haben, sondern auch Ihnen als Täter müsste es eine Gewissenserleichterung sein. Auch ihnen wird es guttun, über das Geschehen zu reden und damit auch Frauke Respekt zu zollen. 

Niemand sollte mit 21 Jahren aus dem Leben gehen, ohne dass die Familie und die Freunde wissen, warum. Bitte helfen Sie uns.

Es ist mir nicht leichtgefallen, diese Nachricht für Sie zu formulieren. 16 Jahre sind seit Fraukes Tod vergangen. 16 Jahre, die mit Wut, Schmerz, Trauer, Verzweiflung begannen. Jahre, in denen ich mir nichts sehnlicher als Ihre, also des Täters Bestrafung gewünscht habe. Aber die Zeit verändert vieles.

Ich stehe an der Schwelle zu meinem 70. Geburtstag. Einen Geburtstag ohne Frauke. Aber die Wut ist weg. Geblieben ist die Trauer. Und der Wunsch, abzuschließen. Um Frauke so in Erinnerung zu behalten, wie sie war, sollte ich auch die letzte Etappe ihres Lebens kennen. 

Sagen Sie mir, was passiert ist, geben Sie mir die Möglichkeit, Fraukes Lebensbild abzurunden, auf Fraukes ganzes Leben zurückzublicken und dabei die schönen Erinnerungen in den Vordergrund treten zu lassen. 

Reden Sie bitte mit mir.“

Zeugenaufruf

Wer etwas Konkretes zu Fraukes Verschwinden oder dem Mord an ihr weiß, kann sich an jede Polizeistelle wenden. Oder direkt an Fraukes Mutter Ingrid Liebs unter www.frauke-liebs.de. Oder an den Podcast-Host Dominik Stawski vom stern, erreichbar unter fraukeliebs@stern.de

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