Es war ein heißer Sommer, die Deutschen feierten die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Am späten Abend des 20. Juni 2006 trat die 21-jährige Frauke Liebs aus dem Irish Pub "The Auld Triangle" in Paderborn, um den kurzen Fußweg zu ihrer WG zu laufen. Doch dort kam sie nicht an. Irgendwo auf diesem Weg traf sie auf ihren Mörder. Bis heute, 16 Jahre nach dieser Nacht, fragt sich Fraukes Mutter, Ingrid Liebs, was damals passiert ist, wer Frauke mitgenommen hat, wo er sie gefangen hielt und warum er das überhaupt tat.
Frau Liebs, was macht Ihnen Hoffnung, dass Sie den Mörder Ihrer Tochter doch noch finden können?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es einen Mitwisser gibt.
Warum vermuten Sie das?
Man kann eine junge Frau nicht eine Woche lang völlig unbemerkt irgendwo festhalten. Sie muss mal aufs Klo, sie muss mal was trinken. Der Täter ist mit ihr durch die Gegend gefahren, das haben die späteren Verbindungsdaten ihres Handys gezeigt. Frauke muss also in ein Fahrzeug ein- und ausgestiegen sein.
Der Podcast zum Mordfall Frauke Liebs
„Frauke Liebs – die Suche nach dem Mörder“ ist der neue Serien-Podcast vom stern. Reporter Dominik Stawski erzählt ausführlich die Geschichte dieses Verbrechens und geht offenen Spuren und neuen Hinweisen nach.
Alle 13 Folgen des Podcasts gibt es bereits jetzt kostenlos auf RTL+Musik.
Die Episoden bekommen Sie auch hier bei stern.de sowie den Podcast-Plattformen Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music. Immer dienstags erscheint dort eine weitere Folge.
Frauke war damals mindestens eine Woche lang in der Gewalt des Täters. Das weiß man, weil Frauke innerhalb dieser Woche immer wieder Lebenszeichen mit ihrem Handy senden konnte. Womöglich hat der Täter ihr das erlaubt, um Fraukes Familie und die Polizei im Glauben zu lassen, dass alles in Ordnung sei.
Ob der Täter allein handelte, ist unklar. Es ist nicht mal sicher, dass es ein Mann war, obwohl die Ermittler fest davon ausgehen.
Fraukes Familie und ihre Freundinnen und Freunde ahnten damals schnell, dass etwas nicht stimmt. Eine Woche nach Fraukes Verschwinden gab es dann keine Lebenszeichen mehr.
Mehr als drei Monate später fand ein Jäger Fraukes Leiche, in einer Kuhle in einem entlegenen Wald außerhalb von Paderborn. Der Wald trägt im Volksmund auch den Namen "Totengrund".
Die Ermittler gehen davon aus, dass Frauke bereits kurz nach ihrem letzten Lebenszeichen getötet und in den Wald gebracht wurde.

Wo vermuten Sie den Täter, Frau Liebs?
Ich glaube, dass der Täter im Umfeld von Paderborn zu suchen ist. Es spricht einiges dafür, dass er die Gegend östlich und südöstlich von Paderborn gut gekannt haben muss, sonst hätte er den Ablageort nicht gewählt. Es muss aber nicht heißen, dass er in der Gegend auch aktuell noch wohnt. Vielleicht ist er dort aufgewachsen.
Glauben Sie, dass der Täter überhaupt noch lebt?
Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich war mal Lehrerin und ich habe meinen Schülern immer gesagt: Glauben könnt ihr in der Kirche. Hier geht es um Wissen, das heißt, ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Ich vermute, er lebt noch. Und wenn er noch lebt, dann denke ich, wird er mitbekommen, wie ich nach ihm suche. Ich hoffe, dass er das hier liest.
Die Ermittler und auch Fraukes Mutter vermuten, dass Frauke den Täter gekannt haben könnte. Den Grund für diese Annahme findet man in der Nacht von Fraukes Verschwinden. Frauke ist damals in ein Fahrzeug gestiegen – das steht fest, weil ihr Handy sich wenig später um die 35 Kilometer entfernt in eine Funkzelle einloggte. Niemand in der belebten Innenstadt von Paderborn hat aber wahrgenommen, dass eine junge Frau gegen ihren Willen in ein Auto gezerrt wurde. Es gab also keinen Hinweis auf einen Überfall.
Was es aber gab, war eine SMS von Frauke aus dieser ersten Nacht, und zwar verschickt aus einer Funkzelle nahe der Stadt Nieheim. Als diese SMS verschickt wurde, muss Frauke schon mit ihrem Mörder unterwegs gewesen sein. Fraukes Nachricht ging an ihren Mitbewohner, der zuhause in ihrer gemeinsamen WG auf Frauke wartete, weil sie damals keinen Schlüssel dabei hatte. Sie schrieb nur kurz, dass er nicht auf sie warten solle, sie komme später. " Hdgdl bis später"
Es war eine typische Frauke-SMS. Die Ermittler gehen deswegen davon aus, dass Frauke sie freiwillig geschrieben hat, in einer Situation, in der sie noch nicht ahnte, dass etwas Schlimmes passieren würde. Das wiederum veranlasst die Ermittler zu der Vermutung, dass sie mit jemandem unterwegs war, den sie gekannt haben könnte. Mit einem Fremden wäre sie nicht einfach spontan mitgefahren, das sagen alle, die Frauke besser kennen.

Halten Sie es für denkbar, dass es jemand aus Fraukes engerem Freundeskreis war?
Ich meine zu wissen, dass ich so ziemlich alle aus Fraukes Bekanntenkreis gut kenne, und ich habe ja auch in den Ermittlungsakten gesehen, dass dieser Kreis von der Polizei befragt worden ist. Ich gehe davon aus, dass aufgefallen wäre, wenn davon jemand nervös gewesen wäre, sich verheddert hätte in seinen Aussagen, so dass ich diese Leute für mich abgehakt habe. Wobei ich es ganz sicher nicht ausschließen kann. Ich vermute eher, dass es nur ein flüchtiger Bekannter war. Frauke hat ständig neue Leute kennengelernt, vor allem in diesem Sommer damals, in dem sie ja ständig unterwegs war, denn es war schließlich auch in Paderborn das Fußball-Sommermärchen.
Um diesen Menschen endlich zu finden, sucht Ingrid Liebs jetzt so entschlossen die Öffentlichkeit wie nie zuvor. Für den 13-teiligen Serien-Podcast "Frauke Liebs – die Suche nach dem Mörder", den der stern über diesen Fall produziert hat, ließ sich Ingrid Liebs über viele Monate bei ihrer Suche nach neuen Hinweisen begleiten. Nicht nur sie, auch alle anderen Zeuginnen und Zeugen, die in diesem Fall wichtig sind, äußern sich in dem Podcast, einige von ihnen treten das erste Mal an die Öffentlichkeit.
Sie sagten mal, dass es Sie viel Kraft kostet, über das Verbrechen an Ihrer Tochter öffentlich zu reden.
Ja, aber eine Aufklärung kann es nur geben, wenn diejenigen, die irgendetwas mitbekommen haben, sich melden und tatsächlich ihr Wissen auf den Tisch packen. So einen Menschen will ich erreichen, deswegen gebe ich Ihnen Interviews. Ich bin mir sicher, dass es jemanden gibt, der irgendetwas beobachtet hat, sich dann aber vielleicht gesagt hat: Willst du wirklich deinen Nachbarn, Freund, Arbeitskollegen, Bruder anschwärzen? Ich hoffe, dass diese Person merkt, sobald sie den Podcast hört, wie wichtig es ist, dass sie endlich redet.
Wie sehr belastet Sie das heute noch, was damals passiert ist?
Es wird mich bis an das Ende meines Lebens begleiten. Wenn man ein Kind verliert, dann kann man das nicht abhaken. Aber die Gefühle ändern sich über die Zeit. Am Anfang war ich wütend, ärgerlich, traurig, verzweifelt. Alles gleichzeitig. Was bis heute geblieben ist, ist die Trauer darüber, Frauke verloren zu haben, Frauke nur noch in den Bildern meiner Erinnerung zu haben. Ich schaffe es inzwischen immerhin, mich auch an gute Momente zu erinnern. Und ich hoffe einfach, dass mit einer Aufklärung irgendwann die guten Momente ganz die Oberhand gewinnen und ich damit zur Ruhe kommen und mir sagen kann: Mensch, Frauke, wir haben auch schöne Zeiten gehabt.
Wenn Sie tatsächlich irgendwann dem Täter gegenübersitzen würden, was würden Sie ihm sagen?
Ich würde den Täter gerne fragen: Warum haben Sie das getan? Warum gab es am Schluss nicht die Lösung, Frauke wieder nach Hause zu lassen? Ich kann nicht begreifen, dass man eine Woche mit einer jungen Frau verbracht hat, dass man sie durch die Gegend gefahren hat, dass man ihr zu essen und zu trinken gegeben hat, dass man mit ihr gesprochen hat. Und dass man es dann schafft, sie am Schluss nicht am Leben zu lassen.
Haben Sie Angst vor den Antworten, die kommen könnten?
Nein, es sind so viele unterschiedliche Bilder im Laufe der Jahre erzeugt worden, so dass ich inzwischen keine Angst mehr habe. Zum Beispiel musste ich ja eine Zeit lang befürchten, dass Frauke zu den Frauen gehörte, die im sogenannten Horrorhaus in Höxter, gefangen gehalten und gefoltert wurden. Ich will nur noch wissen, was passiert ist. Es gibt ja eigentlich nur zwei Antworttendenzen. Die eine ist, dass mir der Mensch sagt: Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte, weil ich so viele Nachteile, so viele Probleme befürchtet habe, dass das für mich der einzige Ausweg war. Oder er sagt mir: Ich wollte sehen, wie das ist, wenn ein Mensch stirbt.
Was ist Ihre Tendenz?
Ich deute die Spuren so, dass ich nicht glaube, dass es der abgebrühte, bösartige Mörder war, den ich mir am Anfang mal vorgestellt habe. Ich glaube, es ist ein Mensch, bei dem die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind. Wo sich etwas verselbständigt hat, was so nicht geplant war. Und das würde ich gerne von ihm hören und ich würde ihn gerne angucken. Ich würde dem Täter gern gegenübersitzen. Ich würde ihn gern dabei erleben, wie er mir erzählt, wie Frauke gestorben ist. Vielleicht bin ich danach völlig fertig. Das weiß ich nicht. Vielleicht kommt auch die Wut zurück. Das weiß ich auch nicht. Aber ich würde es probieren.
Für den Podcast hat der stern Sie, weitere Familienmitglieder und viele von Fraukes Freunden über die Jahre immer wieder interviewt. Für dieses Projekt haben Sie sehr viel von sich preisgegeben. Haben Sie je gezweifelt, ob das richtig ist?
Nein, ich will wissen, was passiert ist. Ich will den Menschen finden, der bei meiner Tochter war, als sie starb. Und ich habe das Gefühl, dass das etwas ist, was auch Frauke tun würde, wenn sie an meiner Stelle wäre. Frauke war jemand, der war neugierig auf andere Menschen. Neugierig auf das, was sie denken, was sie tun, was sie fühlen. Es mag verrückt klingen, aber das schließt für mich auch ihren Mörder ein. Ich würde gerne diesen Menschen kennenlernen, der letztlich Frauke getötet hat und von ihm erfahren, wie er das konnte.