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Landgericht Kassel Als Ärztin ausgegeben und fünf Menschen durch falsche Behandlungen getötet? Prozessauftakt gegen 50-Jährige

"Hospital zum Heiligen Geist" in Kassel
Die mutmaßlich falsche Ärztin soll im "Hospital zum Heiligen Geist" ohne entsprechende Ausbildung Patienten betäubt haben. Die Verdächtige steht nun vor dem Landgericht Kassel wegen mehrfachen Mordes.
© Uwe Zucchi / DPA
Wegen mehrfachen Mordes muss sich eine mutmaßlich falsche Ärztin vor dem Landgericht Kassel verantworten. Jahrelang täuschte sie Kollegen, Arbeitgeber und Patienten. Zum Prozessauftakt schweigt die Angeklagte.

Sie soll sich als Ärztin ausgegeben haben, hielt Vorträge, wollte Bürgermeisterin werden – doch an diesem Mittwoch scheut die 50-Jährige die Öffentlichkeit. Die Foto- und Filmjournalisten warten vergebens, dass sich die Tür hinter der Anklagebank des Landgerichts Kassel öffnet. Die Angeklagte wolle nicht gefilmt werden, sagt der Vorsitzende Richter.

Als die Tür schließlich aufgeht, betritt eine untersetzte Frau den Raum. Der Blick ist gesenkt, die Brille steckt auf dem Kopf im dunklen Haar. Die OP-Maske nimmt die 50-Jährige nicht ab – obwohl es keine Maskenpflicht im Saal gibt. Mit geschlossenen Augen hört sie zu, wie die Staatsanwältin die Anklage verliest.

Angeklagte schweigt im Landgericht Kassel

Die Ermittler werfen der Deutschen vor, eine Hochstaplerin und mehrfache Mörderin zu sein. Die 50-Jährige soll sich jahrelang ohne entsprechende Ausbildung als Medizinerin ausgegeben und durch Behandlungsfehler fünf Menschen getötet und weitere verletzt haben. Laut Anklage hatte sich die Frau zwischen 2015 und 2018 eine Anstellung im Hospital zum Heiligen Geist in Fritzlar (Schwalm-Eder-Kreis) erschlichen. Dort soll sie als Assistenzärztin gearbeitet und Patienten narkotisiert haben.

Angeklagt ist sie unter anderem wegen Mord in fünf Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der Heilkunde, versuchten Mord in elf Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Urkundenfälschung. Die Folgen der Vergehen schildert die Staatsanwältin: falsch dosierte Betäubungsmittel, nicht behandelte Sepsen, stundenlanger Sauerstoffmangel, Schäden für das Herz-Kreislauf-System, Organversagen. Mal habe die Angeklagte zu langsam, mal gar nicht auf die Komplikationen während der Narkose reagiert.

Die 50-Jährige sagt zu den Vorwürfen nichts. Ihr Verteidiger verliest eine Erklärung. Darin räumt er ein: Die Beweisaufnahme werde ergeben, dass seine Mandantin als falsche Ärztin tätig gewesen, dass ihr Berufsleben in Teilen auf Hochstapelei zurückzuführen sei. Den Mordvorwurf weist er zurück. Ein Tötungsvorsatz liege nicht vor. Die Frau habe darauf vertraut, dass die Patienten nicht verletzt würden, und sie habe keinen Anlass gehabt, an eigenen Fähigkeiten zu zweifeln. Sie sei an der erfolgreichen Betäubung von 500 Patienten beteiligt gewesen.

"Übersteigertes Geltungsbedürfnisses und Eigensucht"

Die Staatsanwaltschaft verweist darauf, dass die Frau keine abgeschlossene Ausbildung als Ärztin hat. Ihr Werdegang ist kompliziert: Sie wechselte immer wieder zwischen Unis in Kassel, Mainz und Frankfurt, studiert mal Biologie, mal Zahnmedizin. Die 50-Jährige legt eine Heilpraktikerprüfung ab. Hinzu kommen zahlreiche Praktika und Seminare auf unterschiedlichsten Gebieten. Manche Nachweise sind zweifelhaft. Abschluss und Promotion erfolgten schließlich in Biologie. An der Uni Kassel läuft allerdings noch ein Plagiatsverfahren wegen ihrer Doktorarbeit.

Doch ein Titel reichte offenbar nicht: Einen zweiten Doktortitel soll sie im Internet gekauft haben. Zudem suchte die Frau die Öffentlichkeit: Sie war Dozentin, kandidierte bei einer Bürgermeisterwahl im Landkreis Kassel, diskutierte im Internet. Dass sie schließlich Menschenleben gefährdete und sogar nach Todesfällen weitermachte, lag laut Staatsanwaltschaft an der Angst, den Status als Ärztin zu verlieren: "Sie handelte aufgrund eines übersteigerten Geltungsbedürfnisses und aus Eigensucht."

Nach ihrer Arbeit in Fritzlar wechselte die Frau in den Reha-Bereich einer Klinik in Schleswig-Holstein – laut Ermittlern ebenfalls wieder unter falschen Angaben. Doch beim Wechsel der Ärztekammer wurden die Unstimmigkeiten in ihren Unterlagen entdeckt. Mit einer Selbstanzeige reagierte die Angeklagte, doch auch die Ärztekammer Hessen und ihr früherer Arbeitgeber zeigten sie an.

Für den Prozess in Kassel sind zwölf weitere Verhandlungstage bis Ende März angesetzt.

Göran Gehlen / DPA / wue

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