Hurra, endlich startet die vom Bund finanzierte Dunkelfeld-Studie zur häuslichen Gewalt! Nur knapp 20 Jahre hat es gedauert, bis sich die Regierung nach einer ersten Untersuchung wieder des Themas annimmt. Die aktuellen Daten stammen sämtlich aus der polizeilichen Kriminalstatistik – die leider nur zeigt, welche Fälle zur Anzeige gebracht wurden.
Nach den amtlichen Statistiken wurde im Jahr 2022 fast alle zwei Minuten in Deutschland ein Mensch Opfer von häuslicher Gewalt. Jede Stunde mehr als 14 Frauen. Täglich gab es 430 Fälle innerhalb einer Partnerschaft oder unter Ex-Partnern – über neun Prozent mehr als 2021. Vier von fünf Opfern waren weiblich. Jeden Tag versuchte ein Mann, seiner Frau oder Ex-Partnerin das Leben zu nehmen, beinahe jeden dritten Tag gelang es ihm. So die Zahlen, die die Bundesinnen- und die Bundesfamilienministerin heute gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts zum "Lagebild häusliche Gewalt" vorstellten.
Die Bundesregierung tut mehr gegen häusliche Gewalt
Die Zahlen überraschen nicht. Seit Jahren sind wir von ihnen entsetzt und bekommen das Problem trotzdem nicht in den Griff. Dabei wurde viel getan – viel Wichtiges und Richtiges. Durch die #MeToo-Bewegung beispielweise debattierte die Öffentlichkeit über das Thema sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch. Noch immer gibt es Sätze wie: "Warum ist sie zu ihm zurückgegangen? Selbst schuld!" oder "Sie lügt sicherlich, um Aufmerksamkeit zu bekommen". Aber ein Wandel ist spürbar. Das Tabu, über solche Taten zu sprechen, bröckelt langsam.
Und auch in der Politik gibt es Bemühungen. Deutschland hat die Istanbul-Konvention unterschrieben. Einen Vertrag, der den Staat verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bekämpfen. Die Konvention trat zwar bereits 2018 in Kraft, und in der Umsetzung gibt es noch immer gravierende Mängel – aber immerhin: Die Regierung scheint sich des Problems bewusst zu sein und möchte beispielsweise für mehr Frauenhausplätze sorgen, die dringend benötigt werden.
Auch die maue Datenlage in Deutschland zu Gewalt an Frauen wurde immer wieder kritisiert. Die jetzt startende Studie "Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag" soll Abhilfe schaffen. Im Gegensatz zur ersten Dunkelfeld-Studie vor fast 20 Jahren beschränkt sie sich nicht nur auf Frauen, sondern fragt auch Männer nach ihren Gewalterfahrungen.
Für den Bericht, der 2025 erscheinen soll, wird es 15.000 persönliche Befragungen mit weitgehend standardisierten Fragebögen und zusätzlich 7000 nachgelagerte Onlinebefragungen geben. Erhoben werden neben den Gewalterlebnissen Angaben zu Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund und Familienstand. Auch die Erfahrungen, die Betroffene mit Polizei, Justiz und Opferhilfeangeboten gemacht haben, werden einfließen.
"Wir schauen der Gewalt täglich ins Gesicht" – acht Frauen über ihren Kampf gegen Unterdrückung

*Sahars Nachname soll aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben
Die Details fehlen
Die Stichprobe ist repräsentativ und gibt wertvolle erste Einblicke. Sie wird uns zeigen, wie groß das Problem tatsächlich ist. Aber eines wird auf der Strecke bleiben: die detailgenaue Analyse der Einzelfälle und damit der umfangreiche Blick auf mögliche Lösungen. Es reicht nicht zu wissen, wo und wie die Gewalt stattfindet. Wir müssen wissen, warum ein Mann oder eine Frau zugeschlagen hat – war das Motiv Ehrverletzung, Eifersucht oder Verzweiflung? Wenn es Streit gab – worum ging es? Wie sah die Beziehung im Vorfeld aus? Gab es Warnzeichen? Psychische Gewalt? Wie reagierten die Opfer und warum – blieben sie beim Partner oder trennten sie sich von ihm? In welchen Situationen sind Frauen und Männer besonders gefährdet? Ein weitgehend standardisierter Fragebogen kann unmöglich auf all diese Fragen wissenschaftlich fundierte Antworten liefern. Die Wissenschaftler werden nicht nachhaken, nicht genauer nachfragen können. Bei so einer großen Stichprobe ist das unmöglich. Die Hintergründe werden schwammig bleiben.
Es gibt sie, die Untersuchungen, die sich mit einzelnen Fällen intensiv beschäftigen. Sie legen nahe, dass die Gewalt vor allem in unserem patriarchalen System und seinen Machtstrukturen wurzelt. Oft arbeiten solche Studien aber mit Informationen aus der Medienberichterstattung oder von Hilfsorganisationen, nicht mit offiziellen Daten.
In Spanien gibt es seit Jahren eine offizielle Stelle, die das Hellfeld analysiert - alle Informationen von Polizei und Justiz sammelt, um mehr über die Hintergründe der Taten zu erfahren. Wir stehen noch am Anfang. Die Spanier haben uns einiges voraus. Aber was bringt es zu betonen, was wir alles nicht haben? Nichts. Die Dunkelfeld-Studie der Bundesregierung, die nun startet, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und nach 20 Jahren mehr als überfällig. Sie wird in jedem Fall Licht in die Dunkelheit bringen.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde nach seiner Erstveröffentlichung aktualisiert.