Christian Winter glaubt nicht, dass der Weg zum Glück über ehrliche, harte Arbeit führen kann", schreibt Frank W. in einem seiner Krimis. Winter, der Romanheld, beschließt, eine Bank in Leipzig zu überfallen. Als Fluchtfahrzeug dient ihm ein Fahrrad. Die Beute packt er in eine Plastiktüte. Hinter einem Baum deponiert er neue Klamotten, damit ihn nach dem Überfall niemand erkennt.
Acht Jahre nachdem der Roman über Christian Winter gedruckt wurde, sitzt der Autor Frank W. im Landgericht Leipzig auf der Anklagebank. Ein kleiner Mann, untersetzt, Brille, rundes Gesicht. Als der Justizwachtmeister ihm die Handschellen abnimmt, bedankt er sich artig. Frank W., 49, ist Diplom-Museologe, hat also studiert, wie man die Hochkultur in Museen organisiert. Er ist Schriftsteller, hat sechs Bücher verfasst. Und er ist Bankräuber, einer wie Christian Winter.
"Auf den Boden!"
Als W. im Januar dieses Jahres eine Sparkasse in Leipzig überfiel, ging er vor wie sein Romanheld: Er wählte ein Fahrrad als Fluchtfahrzeug. Eine Plastiktüte fürs Geld. Versteckte einen Rucksack mit Kleidern hinter einem Baum. Ansonsten aber lief alles anders. Es fing damit an, dass ein Passant beobachtete, wie W. sich eine Maske über den Kopf zog und in die Filiale ging. Der Mann rief die Polizei.
Frank W. merkte nicht, dass er gesehen worden war. "Auf den Boden" , brüllte er die beiden Angestellten und die drei Kunden an. "Ich will euch nichts tun. Ich will nur Geld."
"Ich weiß, ich bin ein Arschloch"
Bankkauffrau Katja M. schrie auf, fing sich aber schnell wieder. "Ich muss meinen Computer entsperren", sagte sie und löste einen stillen Alarm aus. Die Polizei wurde ein zweites Mal gerufen. Dann erklärte Katja M. dem Räuber, dass sämtliche Safetüren nur mit Zeitverzögerung geöffnet werden könnten. "Das dauert." Frank W. wartete, gab sich erst mal mit den Münzen zufrieden, die ihm die Angestellte aus der Kasse in die Tüte schüttete. "Ich muss mich um mein Kind kümmern", flehte eine Kundin. "Sie kommen ja nach Hause", versuchte W. sie zu beruhigen. "Ich weiß, ich bin ein Arschloch, aber ich brauche das Geld."
Endlich sprangen die Schließfächer auf. Katja M. gab dem Räuber rund 38 000 Euro in Scheinen. "Das ist mir zu wenig", maulte Frank W. "Wo ist der Tresor?" Die Bankkauffrau führte ihn in den Tresorraum, gab einen Code ein. "Jetzt habe ich mich vertippt", log sie, um noch mehr Zeit zu schinden. "Das dauert mir zu lange", sagte Frank W. genervt und ging. 20 Minuten war er in der Filiale gewesen. Draußen wartete schon die Polizei.
Sein Anwalt rät zum Schweigen vor Leipziger Gericht
Sein Anwalt hat ihm geraten, vor Gericht zu schweigen. Doch Frank W. will sich "die Sache von der Seele reden". Nach dem Studium war er arbeitslos, hangelte sich von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur nächsten. Er fing an zu schreiben. Drei Romane in fünf Jahren. Doch kein Verlag wollte seine Werke drucken. Deshalb veröffentlichte Frank W. sie bei einem Zuschussverlag, einem Verlag also, der sich von seinen Autoren dafür bezahlen lässt, dass er ihre Bücher herausbringt. 500 Euro pro Buch gab Frank W. aus, um sich seinen Schriftstellertraum zu erfüllen, fand aber kaum Leser. Als seine Eltern starben, erbte er "ein paar Zehntausend Euro". Drei Jahre lang lebte er von dem Geld, saß tagsüber in der Bibliothek, schrieb an einem Wälzer über den Ersten Weltkrieg, fast 800 Seiten dick – und fand diesmal tatsächlich einen Verlag, der ihm ein bescheidenes Honorar zahlte. "Zu meiner Überraschung."
Will er berühmt werden?
Der "Mannheimer Morgen" lobte das "lebendige Buch voller Saft und Kraft" . Der Durchbruch als Schriftsteller aber blieb aus. W.s Geld ging zur Neige. Er bekam Hartz IV – 670 Euro im Monat. "Ich wollte das Leben nicht aufgeben. Es hat mir einfach Spaß gemacht zu schreiben. So kam ich auf die Idee, mir auf illegale Weise Geld zu besorgen." Der Richter zeigt kein Verständnis. "Warum haben Sie sich keinen Job gesucht?", fragt er. "Berechtigte Frage", gibt der Angeklagte zu. "Aber ich war ja zehn Jahre draußen." Ob er den Überfall begangen habe, um berühmt zu werden, will die Beisitzende Richterin wissen. "Nein", beteuert Frank W. "Ich wollte das Geld."
Der Bankangestellten Katja M. kam Frank W. vor "wie einer, der zu viele schlechte Krimis gesehen hat". Trotzdem hatte sie Angst. Nach dem Überfall war sie drei Tage krank. Sie arbeitet noch heute in der Filiale. "Man wird sensibler. Ich gucke häufiger, wer reinkommt." Die Mutter, die glaubte, ihr Kind nie wiederzusehen, ist noch immer traumatisiert, kann nicht vor Gericht aussagen.
"Christian Winter ist ein armer Kerl und selbst dran schuld", hatte W. über seine Romanfigur geschrieben. Das gilt nun wohl auch für ihn. Nach drei Verhandlungstagen fällt das Gericht am 15. August sein Urteil: Der schreibende Bankräuber muss ins Gefängnis. Für vier Jahre und sechs Monate.
Dieser Artikel ist dem aktuellen stern entnommen