Seit Wochen das gleiche Bild: Die Carabinieri, die als erste am Tatort eintreffen, decken diskret weiße Laken über die Toten. Die Leichentücher sind meist zu kurz, die Schuhe der Opfer bleiben unbedeckt. Auch die Leute vom Fernsehen machen ihre Arbeit. Das Blut auf dem Pflaster glänzt noch feucht, unbarmherzig halten die Reporter ihre Kameras auf die Szene des Grauens. Das sind die Bilder, die Millionen Italienern jeden Abend in die Wohnung flimmern: "Mafiakrieg in Neapel", nennen das die Behörden, 118 Tote seit Jahresbeginn. Niemand weiß, wie lange der Spuk noch dauert.
"Weniger Pistolen, mehr Investitionen"
Dabei schien es lange Zeit, als liefe alles ganz prima mit den "Paten". Zwar kassierten die Clans der Camorra weiter kräftig ab, aber die Waffen ruhten meist. "Weniger Pistolen, mehr Investitionen", nannten Fahnder die neue Strategie nicht ohne Erleichterung. Nun treten schwere Versäumnisse an den Tag. "Es stimmt nicht, dass hinter allem die Camorra steht", klagt etwa Franco Roberti, Staatsanwalt aus Neapel.
Viel zu häufig lasse die Justiz inhaftierte Mafiosi wieder frei, Prozesse dauerten viel zu lange und dann gebe es auch noch Pläne, die Verjährungsfristen zu verkürzen, meint Roberti. "Wenn ein Neapolitaner einen Kriminellen anzeigt und sieht, wie der nach Tagen wieder freikommt, ist das entmutigend", meint ein anderer Experte. So lasse sich die "Omertá", das Gesetz des Schweigens, nicht brechen.
Auch beim neuesten Rachefeldzug der Clans will niemand genaues gesehen haben. Dabei schlugen die Täter wieder mal am hellichten Tag zu, diesmal gegen eine Bäckerei. Der Laden war gerammelt voll, als die jungen Leute mit den dunklen Kapuzen kamen. "Dann riefen sie, alle sollten die Bäckerei verlassen und übergossen den Laden mit Benzin." Das Geschäft brannte völlig aus, keiner der Umstehenden wagte, die Feuerwehr zu rufen. Einziges "Verbrechen" des Besitzers: Er ist mit einem "Abtrünnigen" vom mächtigen Di-Lauro-Clan verwandt.
Streifenwagen nicht einsatzfähig
Probleme ganz anderer Art enthüllten jetzt ausgerechnet Mitglieder der Polizeigewerkschaft: "40 Prozent der Streifenwagen sind wegen mangelnder Wartung nicht einsatzfähig." Selbst ein Wagen zum Schutz eines gefährdeten Richters in einem Mafia-Prozess musste kürzlich in der Garage bleiben - die Bremsen funktionierten nicht.
Angesichts solcher Zustände seien auch die Pläne der Regierung nach höheren Haftstrafen für Bandenmitglieder und ihre Helfer wirkungslos. Rund 4000 Mitglieder zählen die rund 20 Camorra-Clans nach Schätzungen von Experten, in manchen Problemzonen Neapels sei die Camorra das einzig funktionierende "Arbeitsamt" für junge Leute ohne sonstige Aussicht. "Das Schlimmste aber ist, das wir uns an die Kriminalität längst gewöhnt haben", klagte ein Politiker unlängst.