Mordprozess Hannah Erdrückt von der eigenen Schuld

  • von Tim Farin
Er hat ein Mädchen getötet, er hat eine Familie zerstört. Nun wurde Zdenek H. wegen des Mordes an der 14-jährigen Hannah verurteilt. In seiner Urteilsbegründung lenkte der Richter den Blick immer wieder auf die Leiden des Opfers und seiner Angehörigen.

Zdenek H. hat keine Argumente, nicht für seine Tat, nicht für seine Verteidigung. Als er ein paar Minuten vor zwölf Uhr an diesem Mittag in den voll besetzten Saal.0.11 des Bonner Landgerichts geführt wird, tritt er vor die Angeklagten-Bank. Er steht da wie ein Christ beim Betreten der Kirche, mit geradem Rücken, zur Brust gesenktem Kopf, die rechte Hand in die linke wie zum Gebet gefaltet. Zdenek H. muss ertragen, was er selbst verbrochen hat, und dass eine höhere Macht ihn richtet. Er kann ihr nicht entrinnen. Die Ausweglosigkeit der Lage, in die er sich selbst gebracht hat, fesselt diesen jungen Mann in eine steinerne Demut.

"Schuld wiegt besonders schwer"

Die stumme Regungslosigkeit, mit welcher sich Zdenek H. seit Prozessbeginn am Bonner Landgericht Anfang vergangener Woche der öffentlichen Erörterung seines grausamen Verbrechens gestellt hatte, diese introvertierte Leere wich auch beim Urteilsspruch im Mordverfahren "Hannah" für keine Sekunde. Der 25 Jahre alte Tscheche ist - wie allgemein erwartet - verurteilt worden, weil er ein lebensfrohes Mädchen von 14 Jahren vergewaltigt und letztlich zur Verdeckung dieser Taten ermordet hat. Dass es auch strafrechtlich ein Mord war, daran hatte niemand gezweifelt. Die letzte offene Frage klärte die 4. Große Strafkammer heute Mittag zu Ungunsten des schmächtigen Tschechen: "Seine Schuld wiegt besonders schwer", verkündete der vorsitzende Richter Udo Buhren, eine vorzeitige Freilassung nach 15 Jahren Haft ist damit ausgeschlossen. Zdenek H. schaut ganz kurz hinüber zu seinem Übersetzer, der die Botschaft noch einmal auf Tschechisch ausbreitet. Der junge Mann mit dem braunen Bart nickt kaum merklich.

Der Angeklagte hatte während der Ermittlungen und zum Prozessbeginn gestanden, am Abend des 29. August in Königswinter-Oberdollendorf den Teenager Hannah an einer Bahnstation aufgegriffen, gefesselt, auf einen Busparkplatz geführt, dort vergewaltigt und mit insgesamt 16 Stichen einer etwa zehn Zentimeter langen Klappmesser-Klinge getötet zu haben.

Das Motiv ist eindeutig und doch schwer zu ertragen: "Er wollte irgendein Mädchen", fasste Richter Buhren die Gedanken des homosexuellen Zdenek H. zusammen, die in dem Gewaltverbrechen kulminierten. Seit etwa sieben Jahren hatte der junge Mann bei einem schwulen Busfahrer in Königswinter gelebt, dessen sexuelle Aktivität im Zuge einer Diabetes-Erkrankung jedoch sank und zu Jahresbeginn vollends erlahmte. H. habe schon länger Gedanken an Frauen gehabt, sei aber von seinem Lebensgefährten unter Druck gesetzt worden, von solchen Ideen Abstand zu nehmen.

Der schwule H. hortete aber insgeheim eine Gummipuppe unter seinem Bett, und im Fernsehen inspirierte ihn eine Krimiserie, in der ein Mädchen gefesselt und vergewaltigt wurde. Auch am Tattag hatte Zdenek H. Gedanken an Sex, statt einer Radtour organisierte er sich die Kabelbinder und das Klebeband, womit er sein Opfer wehrlos machte, und sein Wunsch "erregte ihn, auch weil es implizierte, dass er Macht über einen Menschen ausüben würde". Der sonst machtlose Reiniger trieb sein Opfer durch einen Abend der psychischen und körperlichen Grausamkeiten, an deren Ende ein brutales Abschlachten stand. "Als Hannah sich zu ihm drehte und ihn ansah, entschied er sich, sie zu töten", erläuterte der Richter, die Angst davor, erkannt und für die Vergewaltigung bestraft zu werden, gaben den Ausschlag.

Verteidiger will Revision einlegen

Mittels einer Speichelprobe wurde Zdenek H. überführt, seine Samen waren an Hannahs Körper gefunden worden. Seine fatale Tat führte Zdenek H. in eine Einbahnstraße zur rechtsstaatlichen Verurteilung. Es ist ein Urteil wegen "glasklaren Mordes", wie es H.s Verteidiger Uwe Krechel kommentierte, und dennoch wird er Revision einlegen. Allerdings ohne flammenden Widerspruch, Krechel sagte: "Die Entscheidung der Kammer ist vertretbar, die Linie der Verteidigung ist aber auch vertretbar." Krechel hatte sich in seinem Antrag für ein Urteil ohne Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ausgesprochen, was eine Haftentlassung auf Bewährung nach 15 Jahren erlaubt hätte. Es gibt Argumente für diese Position, die auch das Gericht wiedergab: Zdenek H. war zuvor niemals straffällig gewesen, er legte ein Geständnis ab, führte die Ermittler zu wichtigen Beweismitteln, zeigte mehrfach Reue und handelte spontan.

Doch die Schuld des Täters überwog diese Faktoren. Er, der in seiner persönlichen und sexuellen Entwicklung recht unreife Mittzwanziger, handelte gegen ein körperlich weit unterlegenes Mädchen, und er hielt sie über mehrere Stunden gefangen, mit dem Messer als Drohinstrument. Auch die Brutalität, mit der er sein Opfer letztlich tötete, wiegt schwer in dieser juristischen Entscheidung.

Richter Buhren lenkte in seiner Urteilsbegründung den Blick immer wieder auf die Leiden des Opfers und seiner Angehörigen, ein Leid, das fortlebt und das Hannahs Familie, ihre Eltern, ihre Schwestern und ihre Freunde kaum ertragen können. Der Richter sprach von schlaflosen Nächten, von gewaltigen Schmerzen. Hannahs Vater hatte diese Perspektive als Zeuge am zweiten Verhandlungstag geschildert. Zdenek H. hatte dem nichts entgegenzusetzen, seine Tat war zu klar. Er selbst hatte bis zuletzt nicht erklären können, warum er auf diese brutale Weise die eigene sexuelle Neugier ausgelebt hatte.

In den Tagen nach der Tat saß Zdenek H. im Fahrunterricht, das Gespräch kam auf die Suche nach dem Hannah-Mörder, keiner außer ihm selbst ahnte, dass er unter ihnen weilte. Als der Fahrlehrer vorschlug, man solle den Mörder doch der Entscheidungsfreiheit der Eltern überlassen, nickte Zdenek H. zustimmend. Im Publikum des Bonner Landgerichts hört man an auch Zustimmung, als der Richter diese Passage aus den Ermittlungen erneut berichtet. "Ja genau, man sollte ihn den Eltern ausliefern."

Das ist nicht geschehen, stattdessen ergeht ein rechtsstaatliches Urteil. Die Eltern waren als Nebenkläger aufgetreten. Ihre Vertreterin muss sich nach dem Verhandlungsende den Fernsehkameras draußen im Foyer stellen. Ob sie zufrieden sei, will jemand wissen. Die Frage stelle sich nicht, sagt sie. "Was man sagen kann, ist, dass kein Urteil der Welt Hannah zurückbringt."

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