Fast 60 Jahre nach den Gräueltaten der Nazi-Zeit steht in München noch einmal ein mutmaßlicher NS-Verbrecher vor Gericht. Vom heutigen Donnerstag an muss sich der 86-jährige Ladislav Niznansky Jahre wegen Mordes in 164 Fällen vor dem Schwurgericht München I verantworten. Als Kommandant einer Spezialeinheit soll er gegen Ende des Zweiten Weltkriegs an Massakern in der damaligen Slowakei beteiligt gewesen sein. Es dürfte einer der letzten Prozesse um die Nazi-Verbrechen werden.
In Abwesenheit zum Tode verurteilt
Als am frühen Morgen des 16. Januar Polizei und Staatsanwaltschaft an der Wohnungstür des Ehepaares Niznansky im Münchner Stadtteil Neuperlach klingelten, reagierte er höflich und packte ohne große Umstände seine Sachen. Die Vorwürfe kennt der gebürtige Slowake seit Jahrzehnten: 1946 gab es ein Verfahren in Bratislava, 1962 wurde er vom slowakischen Bezirksgericht Banska Bystrica in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Zu diesem Zeitpunkt lebte Niznansky jedoch längst in Deutschland. Er war nach Österreich geflüchtet und arbeitete für "Radio Free Europe". Dort soll er unter dem Schutz des tschechoslowakischen und amerikanischen Geheimdienstes gestanden haben. Spekuliert wird, dass Agententätigkeiten Niznansky vor einer Verurteilung in der Heimat und später vor der Auslieferung bewahrten. Bis 1983 arbeitete er in München weiter für den US-Sender, 1996 bekam er die deutsche Staatsbürgerschaft.
Niznansky soll als Leiter der slowakischen Abteilung der von den Nazis zur Partisanen-Bekämpfung installierten Abwehrgruppe 218 "Edelweiß" im Januar 1945 an einem Massaker in den Orten Ostry Grun und Klak mit 146 Toten beteiligt gewesen sein. Einen Monat später soll er in dem Ort Kamen bei Ksina die Erschießung von 18 jüdischen Zivilisten befohlen haben, die sich in Erdbunkern versteckt hatten. Unter den 164 Opfern der beiden Massaker waren 135 Frauen und Kinder.
"Schlichtweg keine Beweise"
Mitte der 60er Jahre leitete die Staatsanwaltschaft München erstmals Ermittlungen ein, musste diese aber einstellen. "Man hatte schlichtweg keine Beweise", sagt die Richterin Michaela Odersky, die als Schwurgerichtsmitglied jetzt über Niznansky zu Gericht sitzt. Aufgrund einer Anfrage der slowakischen Behörden nahm die Staatsanwaltschaft München I im Jahr 2001 das Verfahren wieder auf. "Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs war der Informationsfluss äußerst dünn, wenn nicht gar nicht vorhanden", erläutert Oberstaatsanwalt Stephan Reich die lange Zeitspanne. Jetzt sei die Zusammenarbeit gut.
Bis zum 29. Oktober sind 15 Prozesstage angesetzt. Rund 25 Zeugen sollen befragt werden, die meisten leben in der Slowakei und sind um die 80 Jahre alt. "Die Gerechtigkeit ist gekommen", wird eine Überlebende in Zeitungen zitiert. Andere schilderten Reportern, wie Niznankys Einheit die Dorfbewohner aus ihren Häusern trieb und wie ihre Familien ausgelöscht wurden. Eine Frau berichtet, sie sei - damals zehn Jahre alt - ohnmächtig geworden und habe so überlebt. Ein damals 13-Jähriger schilderte dem Nachrichtenmagazin "Focus", wie die Schüsse seine Mutter und andere Frauen trafen. "Da ich kleiner war als diese Frauen und der Offizier sich bemühte, auf die Köpfe zu schießen, gingen seine Schüsse über mich hinweg und ich wurde nicht getroffen", sagte er.
Niznansky schweigt zu den Vorwürfen
"Focus" zitiert auch ein Ex-Mitglied der Spezial-Einheit in einer Aussage von Dezember 2001. "Ich selbst habe Niznansky gesehen, wie er ungefähr 20 Leute erschossen hat." Bereits 1962 hatte er zu Protokoll gegeben, sein Kommandant habe vor einem Einsatz befohlen, "dass aus dem Dorf keine lebendige Seele entkommen" dürfe. Niznansky selbst schweigt zu den Vorwürfen. Über seinen Anwalt Steffen Ufer ließ er wissen, dass er nicht schuldig sei. Ufer hatte im Vorfeld zudem die Verhandlungsfähigkeit des 86-Jährigen bezweifelt, der mindestens einen Schlaganfall erlitten hat.