Seit fast schon einer Woche hängt der NSU-Prozess in der Luft. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe möchte neue Anwälte. Weil es sich um vom Staat bezahlte Pflichtverteidiger handelt, muss darüber das Gericht entscheiden. Das Oberlandesgericht (OLG) München lässt sich jedoch nicht in die Karten schauen und bewahrt bisher Stillschweigen. Möglicherweise wird auch noch am Dienstagvormittag hinter den Kulissen getagt. Der Prozesstermin wurde schon vom Morgen auf den Nachmittag verschoben.
Platzen lassen möchte der Staatsschutzsenat den NSU-Prozess sicher nicht - nach bisher 128 Prozesstagen und erheblichen Kosten. "100 000 Euro pro Prozesstag werden nicht reichen", vermutet der Regensburger Rechtsprofessor Bernd von Heintschel-Heinegg. Das Gericht könne zwar "alle drei Verteidiger in Bausch und Bogen auswechseln" oder auch nur einen oder zwei von ihnen, aber dann könnten die neuen sagen: "Alles auf Null" - sprich: Der Prozess müsste von vorn beginnen.
Heintschel-Heinegg ist nicht irgendwer. Er war der Vorgänger von Richter Manfred Götzl als Vorsitzender des Staatsschutzsenats, vor dem sich Zschäpe und ihre mitangeklagten mutmaßlichen Helfer verantworten müssen. Die NSU-Akten kennt er ebenfalls. Er diente dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages als Ermittlungsbeauftragter.
Vierter Pflichtverteidiger als Lösung?
Sollte das Gericht an den Zschäpe-Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm festhalten, dann könne der Prozess wohl weitergehen wie bisher, meint Heintschel-Heinegg. Das Risiko in diesem Fall? "Kein allzu großes." Zschäpe könne versuchen, ein strenges Urteil mit einer Revision zu kippen, und argumentieren, das Gericht habe seine Fürsorgepflicht verletzt. Dafür gebe es bisher aber keine Rechtsprechung.
Stattdessen schlägt der Experte in seinem Blog eine andere Lösung vor: Das Gericht werde "zu prüfen haben, ob nicht ein vierter Pflichtverteidiger beizuordnen ist, der das volle Vertrauen der Angeklagten hat".
"Da sind wir auf hoher See"
Ähnlich beurteilt der Frankfurter Rechtsprofessor Matthias Jahn die Lage. Die Gefahr, dass das Urteil mit einer Revision kassiert werde, sei gering, wenn das Gericht alles so lasse, wie es ist. Zschäpe könne zwar versuchen, ein Urteil anzufechten, aber sie müsse dann "hypothetisch durchspielen", wie der Prozess mit Verteidigern ihres Vertrauens gelaufen wäre. "Und da", so Jahn, "sind wir auf hoher See".
Eher theoretisch sei ein anderes Szenario denkbar, das in ähnlicher Weise auch schon einmal vor Gericht funktioniert habe. Jahn verweist auf einen Fall, bei dem der Bundesgerichtshof die Revision eines Holocaust-Leugners akzeptierte, weil sich dessen Anwalt zu passiv verhielt. In diesem Fall hatte allerdings auch der Anwalt selber das Gericht gebeten, ihn aus seiner Pflicht zu entlassen, und nicht nur der Angeklagte. Das Gericht lehnte ab.
Fälle wie diesen werde das Münchner Oberlandesgericht vermutlich auch kennen und berücksichtigen, sagt der Jurist Jahn. Die Frage, wie mit der Entlassung von Pflichtverteidigern umzugehen ist, sei gesetzlich nicht geregelt, sondern beruhe allein auf höchstrichterlichen Urteilen - was Jahn ausdrücklich bedauert. "Warum sollen Beschuldigte mit Pflichtverteidigern schlechter gestellt werden?", fragt er. Angeklagte mit Wahlverteidigern könnten ihre Anwälte nämlich jederzeit selber auswechseln.