Crime Story Der Gastgeber

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  • von Antje Joel
Dennis Nilsen
Dennis Andrew Nilsen, geboren in Fraserburgh, Schottland. Die einen fanden ihn ganz umgänglich, die anderen etwas kauzig
© Hulton Archive/Getty Images
Er lädt sich gerne Besuch ein. Er mag es, wenn Menschen bei ihm sind. Er will sie gar nicht mehr gehen lassen

"WARUM?“

Das ist, was Männer wie Dennis Nilsen betrifft, eine riskante Frage. Sich ihre Taten erklären zu wollen führt schnell auf brüchigstes Eis.

Empathie, und sei sie auch beschränkt auf die normalen, nichtmörderischen Elemente seines Wesens, ist einem Dennis Nilsen gegenüber eine gefährlich menschliche Tugend.

Der arbeitsame, redegewandte Angestellte aus einem Londoner Vorort, etwas distanziert zwar, aber mit von Kollegen geschätztem trockenen Humor, hatte von 1978 bis 1983 15 junge Männer aus Kneipen und Discos mit in seine Wohnung genommen und dort erwürgt oder in Eimern und seinem Spülbecken ertränkt. Er hatte ihre Leichen jeweils entkleidet, sie gebadet und abgetrocknet. Er hatte ihnen Unterhosen und Socken angezogen, sie geschminkt und in seinen Sessel gesetzt oder sie in sein Bett gelegt. Dort ließ er sie auf ihn „warten“, einen Ermordeten nach dem anderen, bis er abends aus seinem Büro in der Arbeitsvermittlung nach Hause kam. „Du wirst nicht glauben, was mir heute passiert ist!“, rief Nilsen bisweilen der Leiche im Sessel zu. Und erzählte ihr von seinem Tag im Büro. Er las dem Toten vor. Er hörte Musik „mit ihm“ oder sah mit ihm fern. Bis der Zerfall seinen „Freund“ „unansehnlich“ machte und selbst er den Gestank nicht mehr ertrug. Oder bis es den Mörder nach einem neuen Freund verlangte.

Erschienen in Crime 30/2020