Anne Paust dürfte geschlafen haben als ihr Mörder kam.
Es war die Zeit der weißen Nächte, in denen sich der Sonnenuntergang bis 23 Uhr hinzieht und die Morgendämmerung bereits wenig später einsetzt. Der Alterswohnsitz von Pausts Eltern war ein stattliches Holzhaus direkt am Waldrand, nahe der mittelnorwegischen Ortschaft Sörumsand, aber doch einsam und still gelegen. Der alte Bauer hatte es Anfang der 90er Jahre am Rande eines Hügels erbaut. Auf dessen anderer Seite lag der Hof, den er jahrzehntelang bewirtschaftet hatte, so wie sein Onkel und sein Großvater vor ihm. Das neue Gebäude hatte zwei Etagen, die untere drückte sich an der Rückseite in den Hang hinein, die obere hatte eine Hintertür, durch die man auf direktem Weg in den Wald gehen konnte.
Hierhin hatte Paust sich zurückgezogen. Bei ihrem Vater und ihrer Mutter fühle sie sich sicher, das hatte sie Freunden immer wieder gesagt. Monatelang hatte sie sich verstecken müssen, war mit ihrem Mann bis nach New York gereist, in der Hoffnung, dass ihre Verfolger dort die Spur verlören. Anne und Per Paust hatten Feinde gehabt, das war im ganzen Land bekannt. Nun war ihr Mann tot, es war schnell gegangen, Krebs, aber manche spekulierten, Per sei womöglich vergiftet worden. Anne Paust glaubte nicht daran, aber sie war traurig, und die Zeit der Angst war noch nicht vorbei.
