Die Bilanz des Jägerstammtischs ist an diesem Abend recht gesittet: eine Weinschorle, ein Mineralwasser, zwei Helle, fünf Weizen, drei Weißbier.
Franziska Köpke (alle Namen, bis auf Jürgen Kölbls, wurden geändert), die 50-jährige Bedienung des Brauerei-Gasthofs Richter, hat schon abkassiert, Portemonnaie und Schürze sind längst in den Schubladen der Theke abgelegt. Feierabend. Die Stühle stellt morgen früh die Putzfrau hoch. Es ist kurz vor Mitternacht, als sie sich zu den Jägern an den Stammtisch setzt.
Auf der blauen Tischdecke steht diese alabasterfarbene Schachtel. Goldschrift rankt sich darauf, sie ist viereckig. Daraus holt Kurt Schwabl, Kraftfahrer, 49 Jahre alt, immer neuen Schmuck hervor, den er seinen Freunden am Tisch zeigt. Teilweise kleben noch die Preisschilder dran. 390 Mark. 540 Mark. Ringe und Ohrstecker werden probeweise angelegt, begutachtet, besprochen. Woher der Schmuck stammt, ist unklar. Aber Schwabl will ihn loswerden, er preist ihn als perfektes Weihnachtsgeschenk für die Ehefrauen der fünf Männer am Jägerstammtisch.
Es ist der 17. November 1989, ein Freitagabend. Die „Tagesschau“ berichtet, dass Hans Modrow, der neue – und wie sich bald zeigen wird: letzte – Vorsitzende des Ministerrats der DDR, den „unrealistischen wie gefährlichen Spekulationen über eine Wiedervereinigung eine klare Absage“ erteilt. Boris Becker hat am Abend mal wieder gegen seinen Erzrivalen Stefan Edberg gespielt.
Wären die Fenster nicht mit dicken, schwarz-weiß gemusterten Stoffgardinen verhangen, könnten die Jäger am Stammtisch von drinnen, an dem geschmückten Miniatur-Weihnachtsbaum vorbei, auf den Marktplatz der kleinen Gemeinde Laaber im Landkreis Regensburg sehen.
Als die Pfarrkirche St. Jakobus Mitternacht schlägt, öffnen zwei Fremde die beiden Doppeltüren zum Gastraum. Einer ist blond, trägt eine Lederjacke und ist schmächtig. Der andere hat dunkles Haar. Stabiler Körperbau, darüber ein Skipullover mit weißen Sternen.