Dieser Artikel ist im Januar 2022 erschienen. Lesen Sie unbedingt auch das Update am Ende dieses Artikels.
Norman Volker Franz sägt und sägt und sägt. Es ist dunkel über dem Gefängnis in Hagen nahe Dortmund, bald aber fließt ein bisschen Licht in die Welt. Seit Stunden, so lässt es sich rekonstruieren, treibt Norman die Sägeblätter, besetzt mit Diamantsplittern, durch die Gitterstäbe. Seine Hände sind wund, er hört nicht auf, Millimeter um Millimeter sägt er, drängt er all dem entgegen, was er zu verdienen meint: Freiheit, Glück, ein Leben mit der Frau, die ihn liebt, die er liebt.
Sandra Franz wartet nahe dem Gefängnis in einem roten VW Polo. Sie hat Geld von der Bank geholt, 1500 Mark. Im Auto liegen Essen und Kleidung, außerdem zwei gefälschte Pässe. Und eine Pistole der Marke Česká, dazu zwei gefüllte Magazine, Kaliber 9 mm Luger.
Es ist etwa sechs Uhr an diesem 11. März 1997, als Norman den letzten Stab durchsägt. Er hat Bettlaken zusammengeknotet und seilt sich ab. Später wird er Sandra erzählen, er habe in der Zelle eine CD aufgelegt, in Dauerschleife: „Time to Say Goodbye“. Er wird auch erzählen, er habe sich vor dem Dienstzimmer der Wachen abgeseilt, einer habe sich, ihm den Rücken zugewandt, gerade Kaffee eingeschenkt. Norman Volker Franz wird viel erzählen.
Unten, in Freiheit, rennt er los. Sandra sieht einen Mann, er läuft auf sie zu durch die Dämmerung, und als sie ihn endlich erkennt, wird sie nervös. Kurz packt sie Panik.
Sie fahren los, sie halten Hände, sie freuen sich, sie weinen. Bald geht die Sonne auf. Bald werden drei Menschen sterben.