Eine Welle von rund 4700 Erdbeben in Island lässt die Angst vor einem Vulkanausbruch nahe der Hauptstadt Reykjavik wachsen. Die Erdstöße seien seit Dienstag in der Region um den Vulkan Fagradalsfjall – rund 30 Kilometer von der Hauptstadt entfernt – aufgetreten, teilte die isländische Wetterbehörde IMO am Donnerstagmorgen mit.
Das stärkste Beben ereignete sich demnach am Mittwoch und hatte eine Stärke von 4,8. Die stärksten Erschütterungen seien im südwestlichen Teil Islands deutlich zu spüren gewesen. Für den Abend sei mit weiteren seismischen Aktivitäten zu rechnen; die Beben haben aber inzwischen nachgelassen, berichtet der isländische Rundfunk RÚV. Der Sender hat Live-Streams von Webcams aus der Region eingerichtet.
Internationaler Flughafen beobachtet Situation
Nach Angaben der Behörde begannen die Beben unterhalb der bekannten Magmaaufstiegszone unter dem Fagradalsfjall in einer Tiefe von zunächst etwa acht Kilometern und stiegen innerhalb von fünf Stunden auf eine Tiefe von vier Kilometern. Seit Mittwochmorgen habe die Seismizität eine Tiefe von etwa zwei bis drei Kilometern erreicht. Die Erdbeben "klettern" also sozusagen immer weiter an die Erdoberfläche. Auch die Stärke der Beben habe zugenommen.

Der Wetterdienst hat die Flugwarnstufe von "grün" auf "orange" erhöht. Das Warnsystem soll die Luftfahrt über die Gefahr eines Vulkanausbruchs informieren. Bisher sind nach Informationen von RÚV keine Flüge betroffen; der internationale Flughafen Keflavík beobachtet die Situation.
Nach Angaben der IMO wurden am Vulkan zunächst keine "Ausbruchserschütterung" festgestellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies "in den nächsten Stunden bis Tagen" geschehe, sei aber gestiegen. Es bestehe zwar die Möglichkeit, dass die Aktivität ohne Eruption endet. Die Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Vulkanausbruchs werde aber als hoch eingestuft.
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Warnungen an Touristen wegen drohendem Vulkanausbruch
Geologen und IMO warnen deshalb Touristen. "Es heißt, dass Touristen in das Gebiet strömen, aber ich finde das sehr beunruhigend, denn in Wirklichkeit weiß man nicht, wo sich die Menschen aufhalten, und man weiß auch nicht, wo ein Ausbruch stattfinden würde", sagte Jóhann Helgason zu RÚV. Lavaströme könnten Gebiete schnell umschließen und abschneiden. Bisher sei das Gebiet um den Vulkan aber nicht abgesperrt worden.
Die aktuelle Erdbebentätigkeit ähnelt laut IMO derjenigen, die im vergangenen Sommer beobachtet wurde, als der Vulkan ausbrach. Der Fagradalsfjall auf der Halbinsel Reykjanes war bereits 2022 und 2021 ausgebrochen. Das aktuelle Bebenmuster ähnelt dem vom vergangenen Jahr.
Der Vulkanologe Þorvaldur Þórðarson sagte der Zeitung "Morgunblaðið" am Mittwoch, es gebe Anzeichen – darunter die geringe Tiefe der Erdbeben –, dass sich unter der Oberfläche eine große Menge Lava angesammelt habe. Der Experte geht davon aus, dass die Eruption aufgrund des Ausmaßes der Landhebung in dem betroffenen Gebiet größer sein könnte als die Ausbrüche in den Jahren 2021 und 2022.

Island das größte und aktivste Vulkangebiet Europas
Die Ausbrüche der letzten Jahre und der nun drohende Ausbruch könnten auf eine verstärkte vulkanische Aktivität in der Region in den nächsten Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten hindeuten. Im März 2021 lag die letzte vulkanische Aktivität auf Reykjanes acht Jahrhunderte zurück.
Island ist das größte und aktivste Vulkangebiet Europas. Vielen dürfte der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010 in Erinnerung geblieben sein. Riesige Aschemengen wurden damals in die Atmosphäre geschleudert und brachten den Flugverkehr in Europa weitgehend zum Erliegen. Viele Flughäfen mussten tagelang geschlossen werden.
Quellen: Nachrichtenagentur AFP, Wetterbehörde IMO, RÚV, "The Reykjavik Grapevine"