Klimabericht-Kapitel geleakt Globale Erwärmung auf zwei Grad begrenzen? Fast aussichtslos

Schmelzender und auseinander gebrochener Gletscher auf Island: Die Erderwärmung auf 2,0 Grad zu begrenzen, ist offenbar kaum noch zu schaffen.
Schmelzender und auseinander gebrochener Gletscher auf Island: Die Erderwärmung auf 2,0 Grad zu begrenzen, ist offenbar kaum noch zu schaffen.
© Sean Gallup / Getty Images
Steigen die Treibhausgas-Emissionen weiter an, wird die Welt schon in drei Jahren die Chance verspielt haben, die globale Erwärmung wenigstens auf zwei Grad zu begrenzen. Das geht aus einem geleakten Entwurf eines weiteren Kapitels des Weltklimaberichts hervor.

Die globale Erwärmung wird laut der Kurzfassung des dritten Kapitels des Weltklimaberichts nahezu sicher zwei Grad überschreiten. Das geht aus dem Entwurf hervor, der von einer Organisation namens "Scientist Rebellion" kürzlich geleakt wurde. Demnach kann das vielfach beschworene 1,5-Grad-Ziel, das im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurde, schon nicht mehr erreicht werden. Sogar eine Beschränkung der Erderwärmung auf 2,0 Grad sei demnach so gut wie nicht mehr zu schaffen. Denn bei weiter steigenden Treibhausgas-Emissionen sei die Welt nur noch drei Jahre davon entfernt, auch dieses Ziel zu reißen. Zunächst hatten unter anderem die ARD und der britische "Guardian" darüber berichtet.

Die Klima-Situation würde sich somit noch einmal schärfer darstellen, als es der kürzliche Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC ohnehin beschrieben hat. An die Öffentlichkeit gebracht wurden die Informationen durch "Scientist Rebellion"; einer Gruppierung von Wissenschaftler:innen namhafter Klimaforschungseinrichtungen, die teils zu den Mitautoren des IPCC-Berichts gehören. Sie haben das vertrauliche Papier nach eigenen Angaben schon jetzt geleakt, um einer Verwässerung der Angaben durch die Politik in der Schlussfassung zuvor zu kommen. Vor Veröffentlichung der Klimaberichte gibt es generell ein Mitspracherecht der Politik.

"Scientist Rebellion": Globale Erhitzung duldet keinen Aufschub mehr

"Scientist Rebellion" begründeten das Leaken des Kapitels damit, dass energisches Handeln gegen die Erhitzung der Welt keinerlei Aufschub mehr dulde. "Wir haben dies nicht durchsickern lassen als einen Appell an die inkompetenten und korrupten politischen Führer, die uns im Stich gelassen haben. Wir haben es geleakt, um zu zeigen, dass Wissenschaftler bereit sind, persönliche Risiken einzugehen, um die Öffentlichkeit zu informieren", heißt es in einem kämpferischen Tweet der Gruppe, die zudem zu gewaltlosem Widerstand aufruft. Was nutze es, über Jahrzehnte mehr und mehr Wissen über den Klimawandel zusammenzutragen, wenn dies keinerlei Folgen habe, heißt es in Video-Statements einiger der Wissenschaftler. Auch in den Gesellschaften sei noch nicht angekommen, wie dramatisch die Lage sei.

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Konkret heißt es in dem nun veröffentlichten Entwurf unter anderem, dass alle existierenden und noch geplanten fossilen Kraftwerke rund 850 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausstoßen werden. Das sei fast doppelt so viel wie für das Einhalten des 1,5-Grad-Zieles erlaubt wäre. Selbst das CO2-Budget für das Einhalten der 2,0-Grad-Marke sei damit nahezu ausgeschöpft. Dies liege bei 870 Milliarden Tonnen CO2.

Steigende Weltbevölkerung nicht das Hauptproblem

Entgegen häufiger Darstellungen sei nicht die Zunahme der Weltbevölkerung der stärkste Emissionstreiber, sondern vielmehr der stetige Anstieg des Bruttosozialprodukts in den Industrienationen. Eine deutliche Zunahme treibhausgasintensiver Aktivitäten im vergangenen Jahrzehnt gebe es im Luftverkehr, im Straßenverkehr und durch Klimaanlagen. Beträchtliche Emissionen seien auch in den Entwicklungsländern zu verzeichen – und zwar vor allem durch die Produktion von Exportgütern für die reichen Länder.

Bemängelt wird auch, dass die meisten nationalen Klimaschutzstrategien den Ausstoß der Treibhausgase Methan und Lachgas gar nicht beinhalteten. Die Gase werden in der Rinderhaltung und durch Stickstoffdünger freigesetzt. Insgesamt müsse die Land- und Forstwirtschaft ihre Emissionsminderung im kommenden Jahrzehnt um das Fünffache vergrößern, bis 2050 um das Zehnfache. In den Städten wiederum würden bis 2050 doppelt soviel Beton, Zement und andere Baustoffe verbraucht wie noch 2010. Mehr Materialrecycling, Vermeidung von Bauschutt und die stärkere Nutzung von Holz beim Häuserbau seien Gegenmittel.

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Bewohner reicher Länder sollten zu "Trendsettern" werden

Die vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten seien altbekannt, würden aber bis heute nicht ausreichend umgesetzt: schonende Bodenbearbeitung, besseres Nährstoffmanagement in Feld und Stall, Vermeidung von Abfällen, Umstieg auf eine fleischärmere Ernährung, stärkere Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Carsharing-Angeboten, Verzicht auf Flugreisen und womöglich auf das Auto.

Gefordert im Kampf gegen die Klimakrise seien vor allem die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung, die rund 40 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes erzeugten. "Leute mit hohem sozioökonomischen Status" seien diejenigen, die ein Umdenken auslösen könnten, heißt es in dem Entwurf. Diesen Menschen sei es ohne Weiteres möglich, ihre Emissionen zu reduzieren. Sie könnten so zu "Trendsettern für einen kohlenstoffarmen Lebensstil" werden. Wenn zehn bis 30 Prozent der Weltbevölkerung mitmachten, könnten sich "neue gesellschaftliche Normen entwickeln", heißt es in dem Papier.

dho

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