Angriff auf Konzerthalle Was wir über den Terroranschlag in Moskau wissen – und was nicht

115 Tote nach Anschlag bei Moskau: Russland-Korrespondent ordnet die aktuelle Lage ein
Bei dem mutmaßlichen Terroranschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau sind mindestens 115 Menschen ermordet worden. Russland-Korrespondent Rainer Munz gibt die aktuellen Zahlen durch und ordnet die Lage ein. 
Sehen Sie im Video: "Es sind schreckliche Bilder" – Russland-Korrespondent Munz ordnet aktuelle Lage nach dem Anschlag bei Moskau ein.
Die russische Hauptstadt Moskau wurde am Freitag von einem der schlimmsten Anschläge seit Jahren erschüttert. Die Opferzahlen sind hoch, die Spuren führen offenbar zum Islamischen Staat. Doch Präsident Putin sieht die Schuldigen ganz woanders.

Was ist bei Moskau passiert?

In ein Konzerthaus am Rande von Moskau, der Crocus City Hall, sind am Freitagabend gegen 20 Uhr Ortszeit bewaffnete Angreifer eingedrungen. Tausende hatten sich dort zu einem Konzert der russischen Rockband "Piknik" versammelt. Nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen schossen die Angreifer zuerst auf Sicherheitskräfte am Eingang, dann auf das Publikum. Dafür nutzten sie teils automatische Waffen, Fotos zeigen unzählige Patronenhülsen und ein Kalaschnikow-Sturmgewehr. Die Anwesenden seien "15 bis 20 Minuten" auf dem Boden liegen geblieben, um sich vor den Schüssen zu schützen, und seien dann aus dem Saal gekrochen.

Die Terroristen verwendeten auch brennbares Material, Journalisten von Ria Nowosti sprachen von "einer Granate oder einer Brandbombe". Das Gebäude fing Feuer und brannte bis in die Nacht. Dutzende Einsatzkräfte löschten das Feuer mit zahlreichen Fahrzeugen und Löschhubschraubern.

Was ist über die Opfer bekannt?

Im Laufe des Samstags stieg die Zahl der Opfer – und sie dürfte noch weiter wachsen. Zuerst war von Dutzenden Toten die Rede. Doch bei den Aufräumarbeiten fanden Einsatzkräfte immer neue Anschlagsopfer. Am Nachmittag stieg die Zahl der Opfer auf 133, teilte das russische Ermittlungskomitee via Telegram mit. Mehr als 100 Menschen sind zudem verletzt, dutzende davon schwer.

Gab es Festnahmen?

Die unbekannten Täter waren bis Samstagvormittag flüchtig, die Nationalgarde fahndete auf Hochdruck nach ihnen. Am Morgen meldeten die Behörden erst zwei, später elf Festnahmen. Darunter waren dem Inlandsgeheimdienst FSB zufolge "alle vier Terroristen, die direkt an der Ausführung des Angriffs beteiligt waren", hieß es von russischen Nachrichtenagenturen. Im Fluchtauto wurden wohl weitere Waffen und tadschikische Pässe gefunden. Später erklärte der FSB, die mutmaßlichen Täter hätten Kontakte in die Ukraine und seien auf dem Weg dorthin gewesen.

Wer sind die Täter?

Die Lage ist am Samstag denkbar unübersichtlich. Noch in der Nacht erklärte ein Ableger der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS), ISIS-K, für die Tat verantwortlich zu sein. Auf einem der Miliz zugeordneten Telegramkanal hieß es, IS-Kämpfer hätten "eine große Zusammenkunft [...] am Rande der russischen Hauptstadt Moskau" angegriffen. Später veröffentlichte der Propagandakanal Fotos der angeblichen Attentäter mit gepixelten Gesichtern.

Fachleute wie der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London halten die mittlerweile zwei Bekennerschreiben für echt. "Für mich steht fest: Das war eine Tat des IS", so Neumann im Nachrichtensender ntv. "Und das ist natürlich für Wladimir Putin eine sehr unangenehme Situation."

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Warum zeigt der Kreml auf die Ukraine?

Der Kreml sucht die Verantwortlichen woanders. Bei einer Ansprache am Samstagnachmittag hatte der russische Präsident Wladimir Putin von einer "barbarischen terroristischen Tat" gesprochen. Alle Verantwortlichen, die hinter den Angreifern stehen, würden ausfindig gemacht und "bestraft".

Putin folgte den Aussagen des FSB, die mutmaßlichen Täter seien auf dem Weg in die Ukraine gewesen, wo ein "Fenster" für ihren Grenzübertritt vorbereitet worden sei. Die Ukraine grenzte sich von Anfang an von jeder Beteiligung ab. Auch die USA halten eine ukrainische Beteiligung derzeit für unplausibel, auch Beweise wurden bisher keine vorgelegt.

Putin selbst hat ein Interesse daran, mit dem Finger auf die kriegsgebeutelte Ukraine zu zeigen. Die USA hatte Russland erst vor zwei Wochen davor gewarnt, dass "Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau, einschließlich Konzerte, ins Visier zu nehmen". Das Weiße Haus erklärte, die USA hätten diese Informationen mit den russischen Behörden geteilt. Putin hatte eine Anschlagsgefahr damals bestritten und davon gesprochen, der Westen wolle die russische Bevölkerung spalten.

Propaganda-Strategie geht nicht auf: Sicherheitsexperte ordnet Anschlag bei Moskau ein
Russland hat seine Kriegsrethorik und Propaganda-Strategie intensiviert, sagt Sicherheitsexperte Frank Umbach. Sollte tatsächlich der IS hinter dem Anschlag bei Moskau stecken, widerspreche das somit der offiziellen russischen Propaganda. 
"IS-Anschlag passt dem Kreml überhaupt nicht ins Bild": Sicherheitsexperte Umbach über Anschlag bei Moskau

Wie sind die Reaktionen auf den Anschlag?

Schock und Trauer. Bilder zeigten Gedenkstätten im ganzen Land, an denen die Bevölkerung zusammenkommt. Trauernde legten Blumen und Teddys ab oder zünden Kerzen an. In Moskau folgten Hunderte den Aufrufen zur Blutspende. Theater und andere Kulturstätten in Moskau wurden vorläufig geschlossen, größere Veranstaltungen im Umland wurden abgesagt. 

Am Anschlagsort selbst sind Einsatzkräfte noch immer mit der Bergung von Opfern beschäftigt, mit Aufräumarbeiten und der Spurensicherung.

Im Ausland verurteilten zahlreiche Stimmen die Angriffe. "Wir verurteilen den schrecklichen Terrorangriff auf unschuldige Konzertbesucher in Moskau", schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz am Samstag bei X, ehemals Twitter. "Unsere Gedanken sind mit den Angehörigen der Opfer und allen Verletzten". Auch andere Mitglieder der Bundesregierung äußerten sich entsetzt und mit Mitgefühl für die Hinterbliebenen. Ähnlich fielen die Reaktionen bei der Nato oder der Europäischen Union aus.

Wie geht es weiter?

Es dürfte sich um einen der schwersten Terroranschläge seit 20 Jahren handeln. Zu erwarten ist, dass die ohnehin massiven Sicherheitsvorkehrungen in Russland noch einmal drastisch verschärft werden. Die Behörden werden sich auch Fragen gefallen lassen müssen, warum der Anschlag trotz äußerer Warnungen nicht verhindert werden konnte.

Mehrere Stimmen befürchten, der Kreml könnte die Propaganda nutzen, um im Krieg gegen die Ukraine weiter zu mobilisieren und die Stimmung anzufachen.

Weitere Quellen:  ntv, "New York Times"

mkb / Mit Material der Nachrichtenagenturen DPA und AFP

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