Rettungsaktionen für Vierbeiner Ist das noch normal? Warum wir so viel Mitleid mit den Tieren in der Ukraine haben

Ein Käfig mit einer weiß-orangen Katze steht auf dem Boden
Eine Katze wartet mit ihren Besitzerinnen an einer Bushaltestelle in Warschau auf die Weiterfahrt. Menschen und Tiere sind gemeinsam auf der Flucht
© Hesther Ng / Picture Alliance
Unvorstellbares Leid bringt der Krieg über die Ukraine. Menschen sterben, werden heimatlos. In ihrer Not bringen viele ihre Haustiere in Sicherheit. Und manche Menschen fahren extra wegen der Vierbeiner ins Kriegsgebiet. Warum?

Als die ersten Bilder von Flüchtenden aus der Ukraine gesendet wurden, da fielen sie bereits auf: die Katzen- und Hundekörbchen, die etwas verloren mitten im Chaos standen. Sie wurden mitgeschleppt als selbstverständliche Utensilien von Familien, die verzweifelt über die Grenze aus der Ukraine flüchteten, um sich vor dem russischen Angriffskrieg in Sicherheit zu bringen.

Schon zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine war damit klar: Viele Menschen flüchten mit ihren Haustieren, auch für die Vierbeiner muss am Fluchtort gesorgt sein. Offenbar haben Menschen selbst in sehr großer Not Angst um ihre Haustiere und wollen sie in Sicherheit bringen. Als wenn die Angst um das eigene Leben nicht schon schlimm genug wäre.

Wer aus der Ukraine flüchtet, hat nicht selten ein Tier dabei

Es gibt viele Artikel über geflüchtete Menschen, die auf keinen Fall von ihren Tieren getrennt werden wollen. Von einem Mädchen beispielsweise hieß es jüngst, sie würde lieber im Freien schlafen als ihre Katze vor der Flüchtlingsunterkunft bei fremden Menschen abzugeben. Es gibt Online-Portale, auf denen private Pflegeplätze für Tiere von Geflüchteten aus der Ukraine angeboten werden – auch überall in Deutschland.

Und Berichte über die Flucht mit Haustier sind schonmal mit der Zeile "Nicht ohne meinen Kater" übertitelt, wie es die "Süddeutsche Zeitung" an diesem Montag formulierte. Die Schlagzeile ist eine Anleihe an das Buch von Betty Mahmoody, das Ende der 80er-Jahre erschien und in dem die Autorin den Kampf um ihr Kind gegen ihren iranischen Mann schildert.

Ist uns eine Katze inzwischen genauso viel wert wie ein Kind? Und ist das nicht ein schlechtes Zeichen von übertriebener Tierliebe – ja vielleicht sogar unmenschlich oder menschenverachtend?

Die Beziehung zum Tier hat sich stark gewandelt

Das Gegenteil ist offenbar der Fall: Schaut man sich Berichte zu Forschungen von Soziologen und Psychologen an, die in den vergangenen Jahren in verschiedenen Medien publiziert wurden, ist dieses Verhalten sehr menschlich, für die heutige Zeit normal – und gesellschaftlich akzeptiert. Auch aus Regionen in den Vereinigten Staaten wird berichtet, dass Menschen auf keinen Fall ihre Tiere zurücklassen wollten, um etwa vor einem Hurrikan zu flüchten. Es gibt Forderungen, Notunterkünfte müssten darauf vorbereitet sein, dass sich Menschen heutzutage zusammen mit ihren Haustieren in Sicherheit bringen. Der Ukraine-Krieg hat dieser Debatte viel Auftrieb gegeben.

Derzeit akzeptieren Flüchtlingsunterkünfte Tiere oftmals nicht wegen Hygienevorschriften. Doch das ist für viele Geflüchtete ein zusätzlicher Schock. Ein Haustier gilt auch als ein Stück Normalität, als Verbindung an die Heimat und in eine Vergangenheit, in der kein Krieg tobte.

Der Soziologe Marcel Sebastian, der an der Universität Hamburg zu der Beziehung zwischen Mensch und Tier forscht, erklärte das Phänomen unter anderem in der "Süddeutschen Zeitung" so: In den vergangenen Jahren sei der Status von Tieren in der westlichen Welt derart gestiegen, dass sie wie Familienmitglieder wahrgenommen werden. Deshalb werde es auch als unmenschlich empfunden, sein Haustier zurückzulassen. Ein Tier werde heute ganz selbstverständlich als schutzbedürftig empfunden – ähnlich wie ein Kind. Diese Sichtweise sei allerdings ein recht neues gesellschaftliches Phänomen.

Menschen sollen von Natur aus tierlieb sein

Die Psychologin und Professorin Andrea Beetz beschreibt dieses Verhalten in einem Beitrag als einen sehr menschlichen Charakterzug: Menschen interessierten sich von Natur aus für andere Lebewesen, ist sie überzeugt. Dies sehe man auch daran, dass etwa Kinder gern mit Tieren zusammen seien. Familien, in denen der Nachwuchs Mutter und Vater mit dem Wunsch nach einem eigenen Hund in den Ohren liegt, wissen, was gemeint ist.

Auch Beetz spricht von einem relativ neuen Phänomen. In früheren Zeiten und in Generationen vor unserer sei die emotionale Beziehung zum Tier gesellschaftlich nicht so akzeptiert gewesen, sagt die Psychologin. Das habe sich gewandelt. Mitleid und Freude am Umgang mit Haustieren hätten unsere Vorfahren aber vermutlich auch empfunden – sie hätten das nur nicht so zeigen dürfen, weil es allgemein nicht akzeptiert gewesen sei.

Tierheim im belagerten Gostomel macht weltweit Schlagzeilen

Als sich während des Ukraine-Kriegs die Meldungen über Tierschützer häuften, die Hunde und Katzen teils unter gefährlichen Umständen retteten, wurden sie als Helden gefeiert, wie etwa ein junger Kriegsveteran, über den die "Daily Mail" jüngst berichtete.

Es gibt Organisationen, die Zootiere retten. In einem Tierpark in der Ukraine harren Pfleger auch nachts aus, und ein Tierheim in Gostomel bei Kiew macht gerade Schlagzeilen, weil es dort kein Wasser, kein Futter und keinen Strom mehr gibt. Eingekesselt wegen des russischen Angriffs, können die 700 Tiere nicht versorgt werden und drohen zu verdursten, warnte in dieser Woche der Tierschutzverein Animal Eden aus Schleswig-Holstein in einer Pressemitteilung und verbreitete die Petitionsseite des ukrainischen Tierheims. Mehr als Hunderttausend Unterschriften hat die Petition bisher gesammelt, in der ein "grüner Korridor" zur Versorgung der vom Tod bedrohten Vierbeiner gefordert wird.

In sozialen Medien gibt es unzählige Spendenaufrufe vieler Organisationen zur Tierrettung in der Ukraine. Denn vielen Menschen tun in diesem Krieg auch die Hunde, Katzen, Kaninchen, Hamster oder auch Leoparden leid – und dieses Mitleid ist offenbar eine sehr menschliche Empfindung.

Hund und Katze: Geretteter Hund aus der Ukraine in Tierschutzorganisation
Hund und Katze: Heldenhafter Tierarzt rettet Tiere aus der Ukraine
Tierarzt reist ins Kriegsgebiet und rettet zurückgelassene Tiere aus der Ukraine

Sehen Sie im Video: Der Tierarzt Jakub fährt regelmäßig in die Ukraine, um Tiere zu retten, die im Krieg gefangen sind. Das Engagement für die Tiere zahlt sich aus: Der 32-Jährige hat bereits 200 Katzen und 60 Hunde gerettet. 

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