Reporter ohne Grenzen Bilanz der Pressefreiheit: 45 Medienschaffende im Jahr 2023 getötet – niedrigste Zahl seit mehr als 20 Jahren

Nahost-Konflikt: Untersuchung belegt: Reuters-Journalist von israelischem Panzergeschoss getötet
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Am 13. Oktober 2023 geriet eine Gruppe von Journalisten im Südlibanon unter Beschuss. Issam Abdallah, Videoreporter der Nachrichtenagentur Reuters starb, sechs weitere Journalisten wurden zum Teil schwer verletzt. Zwei weitere Reuters-Kollegen, zwei Mitarbeiter des Fernsehsenders Al-Jazeera sowie eine Fotografin der französischen Nachrichtenagentur AFP und ihr Videokollege. Dylan Collins, AFP-Journalist: "Wir waren sieben ganz klar gekennzeichnete Journalisten, in Pressewesten, mit Helmen, mit einem Auto, auf dem 'TV' stand, auf offenem Gelände, gegenüber einem israelischen Militärposten. Sie wussten also, dass wir da waren." Nach Recherchen von Reuters und AFP wurde Abdallah durch ein israelisches Panzergeschoss getötet. Demnach feuerte eine israelische Panzerbesatzung zweimal hintereinander, die Geschosse explodierten im Abstand von 37 Sekunden. Reuters hat für seine Recherchen unter anderem Spuren vor Ort untersucht. Viele Stunden an Videomaterial von acht verschiedenen Medien sowie Hunderte Fotos wurden ausgewertet, darunter hochauflösende Satellitenbilder. Das unabhängige niederländische Institut TNO, das unter anderem auch Munition und Waffen für das niederländische Verteidigungsministerium testet, untersuchte Munitionsfragmente. Zudem nahmen sie bis dahin unveröffentlichtes Material des italienischen Fernsehsenders Rai unter die Lupe, das den zweiten Einschlag zeigen soll sowie Audio vom Livesignal des Senders Al Jazeera. Erik Kroon, Forscher des Instituts TNO: "Die drei wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchung sind, dass beide Schüsse von derselben Position aus abgefeuert wurden, dass wir die Art der Munition eine 120-mm-Panzermunition eingrenzen konnten und dass wir den Abschusspunkt bestimmen konnten: direkt hinter der blauen UN-Linie." Laut den Recherchen handelt es sich um Munition, wie sie die israelische Armee benutzt. AFP erklärte, die von Reuters zusammengestellten Beweise bestätigten eine eigene Untersuchung. Reuters-Chefredakteurin Alessandra Galloni sagte am Donnerstag: "Wir verurteilen Issams Ermordung und fordern Israel auf, zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Die Verantwortlichen für seinen Tod und die Verwundung unserer Kollegen Thaier Al-Sudani und Maher Nazeh müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Das israelische Militär teilte am Freitag mit, der Beschuss habe sich in einem Kampfgebiet ereignet. Kämpfer der libanesischen Hisbollah-Miliz hätten zu dem damaligen Zeitpunkt angegriffen. Israelische Truppen hätten das Feuer eröffnet, um ein Eindringen der Hisbollah-Kämpfer nach Israel zu verhindern. Die israelische Regierung erklärte, nicht auf Zivilisten zu zielen. Die Reporter wollten über die bewaffneten Auseinandersetzungen in dem Grenzgebiet berichten, zu denen es nach dem Überfall der radikal-islamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober gekommen war. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) hatte bereits Ende Oktober unter Berufung auf eine eigene Analyse mitgeteilt, Abdallahs Tod sei durch einen gezielten Angriff aus Richtung der israelischen Grenze verursacht worden. Menschenrechtsorganisationen sprachen von einem möglichen Kriegsverbrechen.
Trotz des Krieges in Nahost ist die Zahl der getöteten Journalisten in 2023 auf den seit Langem niedrigsten Wert gesunken. Von einer "strukturellen Verbesserung" könne jedoch nicht die Rede sein, warnt "Reporter ohne Grenzen".

Die Zahl der getöteten Medienschaffenden ist im laufenden Jahr trotz des Kriegs im Nahen Osten auf den niedrigsten Wert seit mehr als 20 Jahren gesunken. Zum Stichtag am 1. Dezember sind weltweit 45 Medienschaffende im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet worden, wie aus der am Donnerstag vorgelegten Jahresbilanz der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hervorgeht. Das sind 16 weniger als im Vorjahreszeitraum. Einen niedrigeren Wert als in diesem Jahr hatte es zuletzt 2002 gegeben.

Allein 13 Medienschaffende wurden dem Bericht zufolge in diesem Jahr in den Palästinensischen Gebieten getötet, alle im Gazastreifen. Insgesamt starben im Zuge von Kämpfen im Nahen Osten 17 Journalisten und Reporter im Zusammenhang mit ihrer Arbeit, drei davon im Libanon und einer in Israel. Insgesamt starben somit demnach in Kriegsgebieten im Jahr 2023 insgesamt 23 Medienschaffende und somit drei mehr als im Vorjahr.

Deutlich weniger Journalisten wurden dem Bericht zufolge in Lateinamerika getötet. Die Zahl sank demnach von 26 im Vorjahr auf nun sechs. Von einer strukturellen Verbesserung der Sicherheitslage in der Region könne jedoch "nicht die Rede sein", erklärte RSF.

Bilanz der Pressefreiheit: Zahl der getöteten und inhaftierten Journalisten geht zurück

Nach Angaben der Organisation lässt sich der Rückgang der Zahl der getöteten Medienschaffenden in diesem Jahr für manche Regionen durch eine Verbesserung der Sicherheit von Medienschaffenden erklären. In anderen Regionen könne jedoch auch Selbstzensur angesichts gestiegener Risiken für die niedrigere Zahl verantwortlich sein.

Auch die Zahl der wegen ihrer Arbeit inhaftierten Medienschaffenden sank der Organisation zufolge und lag in diesem Jahr bei 521. Dies entspreche einem Rückgang von mehr als acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr, als es 569 waren. Mehr als die Hälfte seien in diesem Jahr alleine in China, Myanmar, Belarus und Vietnam inhaftiert worden. Alleine in der Volksrepublik ereigneten sich 121 Inhaftierungen und somit die mit Abstand größte Zahl.

54 Medienschaffende gelten den Angaben zufolge derzeit weltweit als entführt, das sind elf weniger als im Vorjahr. Betroffen seien Syrien, der Irak, der Jemen, Mali und Mexiko. Insgesamt sind 84 Medienschaffende laut der Organisation verschwunden, mit 31 mehr als ein Drittel von ihnen in Mexiko. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Verschwundenen demnach, 2022 waren es 77 gewesen.

AFP
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