Silvester-Auswüchse Böllern verbieten ist auch keine Lösung

Böller Verbot
Konfiszierte Böller namens "Punisher" – zu Deutsch etwa: der Bestrafer. Bei solchen Namen bleiben wenig Fragen offen.
© Frank Hammerschmidt / DPA
Nach zwei böllerfreien Silvestern durfte jetzt wieder nach Herzenslust geknallt werden. Leider ist das vielerorts übel ausgeartet, weswegen erneut ein Verbot gefordert wird. Das aber klingt nur auf den ersten Blick vielversprechend.

Es ist der 30. Dezember 2019, Mittagszeit. Von meinem Zuhause bis zum Edeka sind es keine 200 Meter, doch um diese Jahreszeit wird selbst diese winzige Distanz zu einem Spießroutenlauf. Denn von überall her fliegen Böller auf Fußwege und Straßen, es zischt, knallt und wummst in einer Tour. St. Pauli, meine Nachbarschaft, wird mit Silvesterfeuerwerk-Verkaufsstart regelmäßig zum Kriegsgebiet. (Auch wenn das Wort angesichts des echten Krieges in der Ukraine deplatziert wirken mag.) Die hemmungslose Sprengerei hat ein Tag vor Silvester noch nicht einmal angefangen und häufig dachte ich, wie nun der Kollege Christian Hensen: "Das muss aufhören."

Hunderte von Euros für Böller

Tut es natürlich nicht. Jetzt, nach zwei Jahren Knall-Abstinenz, schienen einige Feuerwerk-Freunde so etwas wie Nachholbebarf gehabt zu haben. Mancherorts standen die Leute ewig an, um dann viele Hunderte von Euros für Böller und Raketen auszugeben. Als gäbe es morgen keine Heizkostenabrechnung. Besonders übel wurde es dann in manchen Ecken Berlins oder Hamburgs, wo Feuerwehrleute und Polizeibeamte mit Böllern und Raketen angegriffen wurden. Dazu kommen all diejenigen, die aus Dummheit oder Unvorsicht verletzt worden sind, sowie der ganze Müll, der tagelang auf den Straßen vor sich hin suppt. Plus verängstigte Haustiere und umweltfreundlich ist das Geballer auch nicht. Kollege Christian fordert daher: "Schluss damit". Ich fürchte: Das ist zu einfach gedacht.

Die Böllerverbots-Debatte kommt so regelmäßig und so überraschend wie Weihnachten, Silvester und Ostern. Allerdings wird sie fast ausschließlich in wenigen Großstädten wie eben Berlin oder Hamburg geführt, weil hier leider die meisten Knallchargen herumrennen. 2019 etwa hatte die Polizei in der Hansestadt eine Böllerverbotsprüfung abgekündigt, doch daraus wurde nichts. Denn die Polizei weiß auch, dass Verbote in den seltensten Fällen die gewünschte Wirkung haben. Zumal sie sie durchsetzen muss, wenn sie etwas bringen sollen.

Warum werden Helfer angegriffen?

Dass sie und andere Menschen, deren Job die Hilfe ist, angegriffen werden, ist natürlich ein unhaltbarer Zustand. Doch Böller scheinen dabei nur der unrühmliche Höhepunkt einer grundsätzlicheren Entwicklung zu sein. Dass nämlich Sanitäter und Feuerwehrleute auch bei anderen Einsätzen regelrecht bekämpft werden. Eine Debatte über die Gründe für Gewalt gegen Helfer ist definitiv ebenfalls dringlich.

Dazu kommt, dass der Einzelhandel kaum auf das lukrative Schwarzpulver-Geschäft verzichten würde, doch selbst wenn, bleibt die Beschaffung dank illegalem Internethandel weiterhin ein Leichtes. Qualitativ besser wird das Zeug dadurch auch nicht. Das LKA Berlin beklagte vor einiger Zeit, dass auf diese Weise das ganze Jahr über regelrechte Munitionslager aufgebaut werden würden. Und dass einer der größten Böllerhersteller Deutschlands für Arbeitsplätze im strukturschwachen Bremerhaven sorgt, dürfte die örtliche Politik ebenfalls von Feuerwerksverboten abhalten. 

Wobei es durchaus böllerfreie Oasen gibt. Auf fast allen Nordseeinseln ist privates Feuerwerk verboten, unter anderem wegen der empfindlichen Reetdächer. Und ironischerweise leben diese Urlaubsgegenden ganz gut davon, dass es auf dem Festland laut zugeht, denn nur so können sie sich als ruhige Silvester-Zufluchtsstätten, vor allem für Tierhalter, vermarkten.

Nur Minderheit will Böllerverbot

Aber möglicherweise muss es ja auch nicht gleich ein Verbot sein. Um die allerschlimmsten Auswüchse zu unterbinden, wäre es ja schon einmal ein Anfang, Feuerfreunden Bereiche zuzuweisen, in denen sie nach Herzenslust herumknallen können. Am besten gleich mit einem offiziellen, von Profis veranstaltetem Feuerwerk.

Besonders klimafreundlich wäre auch das nicht, aber was Umfragen und vor allem lange Schlangen zum Jahresende immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen: Viele Menschen in Deutschland haben nun mal Spaß an einem lauten und bunten Silvester. Und auch wenn diejenigen die Schlagzeilen beherrschen, die übers Ziel hinausböllern, so läuft das doch bei den allermeisten Knallwerkfreunden gesittet und friedlich ab. Die sollte man nicht bestrafen für das Fehlverhalten einiger weniger Irrläufer.

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