Sie fluten, sie fluten nicht - oder vielleicht später? Nach gravierenden Mängeln an einer U-Bahn-Großbaustelle im Herzen von Köln sollte eigentlich eine drastische Maßnahme anlaufen: Alles stand bereit, um gigantische 14,5 Millionen Liter Grundwasser von Samstagmittag an in die Baugrube Heumarkt in Rhein-Nähe zu leiten. Nach immer neuen Enthüllungen über Baupfusch wuchs die Sorge, dass die unterirdischen Wände instabil werden könnten. Stadt und Bauherr KVB (Kölner Verkehrsbetriebe) wollten auf Nummer sicher gehen. Doch dann wurde überraschend alles abgeblasen.
"Petrus meint es im Augenblick gut mit Köln", sagte Stadtdirektor Guido Kahlen erleichtert in einer eilig anberaumten Pressekonferenz. "Wir können das Fluten verschieben, ohne Abstriche vom Sicherheitskonzept, das bleibt in voller Gänze bestehen." Und am Sonntag legte Stadtsprecher Gregor Timmer nach: "Wenn sich die weitere Entwicklung so fortsetzt, wie sie sich hier im Moment abzeichnet, dann kann man voraussichtlich auf das Fluten der Baustelle verzichten." Das Grundwasser in der Baugrube stieg zuletzt nur noch um einen Zentimeter pro Stunde - viel weniger als prognostiziert.
Seit Tagen dreht sich in Köln alles um das Thema Fluten. Halbstündlich wird in der Baugrube in Dom-Nähe gemessen. Dort fehlen stellenweise über 80 Prozent der stabilisierenden Eisenbügel in den unterirdischen Wänden - bedenklich und kritisch, wie Experten sagen. Im Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau dürfen keine Fehler mehr gemacht werden, dass wissen alle Beteiligten.
Denn vor einem Jahr passierte etwas, was niemand für denkbar gehalten hätte: Nur einen Kilometer vom Heumarkt entfernt stürzte das Historische Stadtarchiv ein - direkt an einer U-Bahn-Baugrube. Erst im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen kamen Pfusch, Schlamperei und wohl auch kriminelle Machenschaften ans Licht. Die Missstände und Vorwürfe betreffen fünf der insgesamt acht Baustellen des KVB-Milliarden-Projekts.
Auch wenn das Fluten voraussichtlich nicht mehr nötig sein wird, bereitet sich die Feuerwehr darauf vor, im Notfall zusätzlich Rhein- Wasser in die Grube zu pumpen. "Wir haben Gerüste bauen lassen und legen jetzt 15 Leitungen, insgesamt acht Meter Schlauch, um von unseren Löschbooten aus bei Bedarf in die Grube pumpen zu können", erklärt Feuerwehr-Sprecher Frank Stobbe. Eine Flutung wäre damit binnen 14 Stunden möglich, viel schneller als ursprünglich geplant.
Als neuer Sicherheitsfaktor ist eine Zwischendecke ins Blickfeld gerückt, die die Baufirmen nun schon am Montag angehen wollen und die bis Mittwoch fertig sein soll. "Damit erhöht sich deutlich die Stabilität des Kölner U-Bahn-Baus und der Schutz vor Hochwasser", betonte der Stadtdirektor. Ein Experte, der in die Planungen indirekt miteinbezogen war, kritisierte jedoch: "Da wird schöngerechnet, um das Fluten möglichst lange rauszuzögern und dann die Zwischendecke drauf zu setzen. Das ist ein riskantes Spiel."
Juliette Wolf, die in einem Schuhgeschäft direkt an der Baustelle arbeitet, hatte sich von der Flutung viel versprochen. "Wir haben hier seit den Bauarbeiten schon heftige Erschütterungen erlebt, die Straße vor dem Laden ist abgesackt, wir haben einen Riss in der Wand - jetzt sollte doch mit dem Fluten alles besser und sicherer werden." Anwohner Miroslav Simic hat seine Wohnung kurz vor der geplanten unterirdischen Aktion ganz umsonst verlassen: "Bei vielen Millionen Litern Wasser sollen die Schlitzwände halten? Ne, da gehe ich lieber vorher weg." Enttäuscht waren zwei Spaßvögel, die provokativ in Hawaii-Hemd mit Plastik-Delfinen zum Heumarkt gekommen waren: "Was, heute kein Schwimmbad?"