Blick in die Vergangenheit 13,5 Milliarden Lichtjahre entfernt: Forscher entdecken offenbar die entfernteste Galaxie, die je beobachtet wurde

HD 1 - Foto der am weitesten entfernten Galaxie, die bisher entdeckt wurde
Rot schimmert HD 1, die am weitesten entfernten Galaxie, die bisher entdeckt wurde
© Harikane et al. / Universität Tokio
Es war einmal vor 13,5 Milliarden Jahren: Astronomen haben ein Himmelsobjekt entdeckt, dass wahrscheinlich aus den Kindheitstagen unseres Kosmos stammt. Nie haben Menschen weiter in die Ferne, weiter in die Vergangenheit geblickt. Doch rätseln sie, was genau sie da sehen.

"Ich bin aufgeregt wie ein Kind, das das allererste Feuerwerk in einer großartigen und mit Spannung erwarteten Show sieht", sagt Fabio Pacucci vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics der "New York Times" zufolge.

Pacucci hat allen Grund, aufgeregt zu sein: Denn einer internationalen Gruppe von Astronomen ist der womöglich spektakulärste, wohl zumindest aber weiteste Blick in die Tiefen unseres Universums gelungen. Mit HD1 und HD2 will das Team unter der Leitung von Yuichi Harikane von der Universität Tokio zwei rötliche "Flecken" in den entlegensten Winkeln des Kosmos entdeckt haben, die wichtige Hinweise auf den Ursprung des Kosmos geben könnten.

Ihre Forschungsergebnisse wurden am Donnerstag im "Astrophysical Journal" und den "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" veröffentlicht. Über ihre Arbeit wurde auch in der Zeitschrift Sky & Telescope Anfang dieses Jahres berichtet.

13,5 Milliarden Jahre entfernt

Die vermeintliche Galaxie HD1 soll bereits 330 Millionen Jahre nach dem Urknall gewaltige Energiemengen in das aus astronomischer Sicht junge Universum geschleudert haben. HD2 soll fast ebenso alt sein.

Lägen die Forscher mit ihren Vermutungen richtig, wäre dies ein faszinierender Einblick in eine bislang kaum erforschte Zeitspanne in der Geschichte unseres Universums. Es könne "einer der ersten Lichtschimmer sein, der den Kosmos in einem Schauspiel erhellt, das letztendlich jeden Stern, jeden Planeten und sogar jede Blume hervorgebracht hat, die wir heute – mehr als 13 Milliarden Jahre später – um uns herum sehen", sagt Pacucci der US-Zeitung zufolge.

Laut dem britischen Magazin "New Scientist" haben die Forscher HD1 und HD2 entdeckt, indem sie zuerst riesige, öffentliche Datensätze Abertausender Himmelsobjekte durchforsteten und anschließend mehr als 1200 Stunden mit dem Radioteleskop Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile beobachteten.

Bereits vergangene Woche, so die "New York Times", erklärten Wissenschaftler, dass sie dank des Hubble-Weltraumteleskops den möglicherweise am weitesten entfernten und damit ältesten Stern entdeckt hätten, der jemals gesehen wurde. Der Stern trage den Spitznamen "Earendel" und habe vor 12,9 Milliarden Jahren zu leuchten begonnen.

Roter geht's nicht

Ein Blick in den Sternenhimmel ist immer ein Blick in die Vergangenheit: Das Licht, das wir mit bloßem Auge sehen, muss gewaltige Entfernungen zurücklegen. Das nächtliche Funkeln von Sirus, dem hellsten Stern am Firmament, ist beispielsweise mehr als acht Jahre unterwegs, bevor wir es sehen. Das liegt daran, dass Polarstern 8,6 Lichtjahre entfernt ist und sein Funkeln folglich ebendiese Zeit benötigt, um zur Erde zu gelangen. Hinzukommt, dass das Universum expandiert, sich immer weiter ausdehnt. Dabei gilt: Je weiter ein Himmelsobjekt entfernt ist, desto schneller bewegt es sich auch von uns weg. Dieses als "Doppler-Effekt" bekannte Phänomen kennen wir zum Beispiel von Krankenwagensirenen: Rast der Krankenwagen an uns vorbei, wird der Ton der Sirene tiefer.

Ähnlich erklärt sich auch die Rote Farbe von HD1 und HD2. Denn auch deren Licht wird mit zunehmender Entfernung in längere Welle gezogen – die sich als Rot darstellen. HD1 sei das röteste Himmelsobjekt, das die Forscher je gesehen hätten. Dessen Farbe "passte erstaunlich gut zu den erwarteten Merkmalen einer 13,5 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie, was mir eine kleine Gänsehaut bescherte, als ich sie fand", sagte Forschungsleiter Harikane laut "New York Times" in einer vom Zentrum für Astrophysik veröffentlichten Erklärung.

Noch genauer lasse sich die Entfernung allerdings anhand der sogenannten "Rotverschiebung" bestimmen. Mithilfe von Radioteleskopen in ALMA in Chile hätten die Forscher für HD1 eine Rotverschiebung von 13 ermittelt. Dies bedeute, dass sich die Wellenlänge des von einem Sauerstoffatom ausgesandten Lichts auf das 14-fache seiner Wellenlänge im Ruhezustand verlängert habe. Sollte das Hubble-Weltraumteleskop diese Rotverschiebung bestätigen, "handelt es sich in der Tat um ein spektakuläres Objekt", zitiert die US-Zeitung Marcia Rieke von der University of Arizona.

Ursprung der roten "Kleckse": zwei Theorien

Aber was sind diese roten "Kleckse"? Sind sie tatsächlich Galaxien? Dazu sollen die Astronomen zwei Theorien haben – bewiesen sei Medienberichten zufolge allerdings noch keine der beiden.

Pacucci zufolge nahm das Team zunächst an, dass es sich bei HD1 und HD2 um sogenannte "Starbustgalaxien" handelt, die mit besonders hellen, jungen Sternen vollgepackt sind. Allerdings habe sich herausgestellt, dass in HD1 mehr als zehnmal so viele Sterne entstehen als es bei solchen Galaxien üblich ist. Wahrscheinlicher sei, dass diese Galaxien sehr jung sind und deswegen sogenannte Ursterne bilden, die viel massereicher und viel heißer sind als herkömmliche Sonnen.

Eine weitere Erklärung: Es könnte sich um ein supermassives, Millionen Sonnenmassen schweres Schwarzes Loch handeln. Doch in dem Fall könnten sich die Wissenschaftler nicht erklären, wie ein solches Ungetüm so schnell in einem so jungen Universum gewachsen sein könnte. "HD1 würde ein riesiges Baby im Kreißsaal des frühen Universums darstellen", sagte Avi Loeb, ein Mitautor von Dr. Pacuccis Arbeit, dem australischen Wissenschaftsmagazin "Cosmos" zufolge.

Die Forscher können mehr sagen, wenn sie die beiden Objekte durch das Hubble-Weltraumteleskop betrachtet hätten. "Einmal mehr scheint die Natur einfallsreicher zu sein als wir", so Loeb weiter.

yks

PRODUKTE & TIPPS