"Keine Frau ist glücklicher als ich. Ich weiß, dass Du kommen und mir gehören wirst. (...) Du, der süßeste Mann der Welt. Ich denke ständig an Dich. Wenn ich Deinen Namen höre, dann ist er mir das schönste Liebeslied. Mein Herz schlägt wild für Dich, mein Andrew, ich liebe Dich. Komm und bleibe für immer." Diese zärtlichen Worte schrieb Belle Gunness am 13. Januar 1907 an den Junggesellen Andrew Hegelien in South Dakota. Er folgte ihrem Lockruf. Andrew hob 2900 Dollar von seiner Bank ab und reiste zu Belle nach La Porte im Bundesstaat Indiana. Gemeinsam zahlten sie das Geld auf Belles Konto ein. Und dann blieb Andrew für immer. Denn wenige Tage später war er tot, sein Schädel gespalten, seine Leiche im Schweibekoben verscharrt.
Was der arme Mann nicht ahnen konnte: Seine Angebetete war eine Serienmörderin. Mehr als zwanzig Menschen hat sie umgebracht, darunter zwei Ehemänner und mindestens drei ihrer Kinder. Mutmaßungen gehen von einer noch viel höheren Opferzahl aus, bis zu 40 Menschen könnte "die Schwarze Witwe" Belle auf dem Gewissen haben. Jener fingierte Liebesbrief an Andrew Hegelien soll jetzt helfen, die Wahrheit über ihr grausiges Schaffen ans Licht zu holen. Denn die Forensikerin Andrea Simmons will den Fall erneut aufrollen. Dazu plant die Wissenschaftlerin von der University of Indiana, DNS-Proben der angeblichen Leiche Belles mit Speichelproben vom Briefumschlag zu vergleichen. Vielleicht wird Simmons dann endlich klären können, ob Belle wirklich am 28. April 1908 bei einem Feuer auf ihrer Farm starb - oder ob sie ihren Tod nur vortäuschte, nach Kalifornien verschwand und dort noch viele Jahre weiterhin reiche Männer um Leben und Vermögen brachte.
Den Opfern Respekt erweisen
"Menschen, die ihr Leben durch Mörderhand verlieren, lassen Familien zurück. Und die wollen Antworten haben", sagt Simmons, die selber in La Porte aufwuchs und schon als Kind die Geschichten von der "Schwarzen Witwe" hörte. Als die Doktorandin ihrem Professor erzählte, dass es in ihrer Heimatstadt eine bis heute ungeklärte Mordserie gibt, ermutigte er sie, die alten Akten noch einmal zu öffnen. "Es gibt nicht viele historische Kriminalfälle, die wir noch nachträglich aufklären können. Dies ist eine einzigartige Gelegenheit." Simmons, 47, verdiente über 20 Jahre lang als Anwältin bei der US-Army ihr Geld, bevor sie sich umorientierte und noch einmal ein neues Studium an der Universität begann. Ihr Wunsch ist es, einmal dazu beizutragen, Verbrechen bei Völkermorden aufzuklären. "Auch in diesem Fall geht es mir darum, den Opfern eines Verbrechens Respekt zu erweisen", sagt sie. "Wir haben eine lange Liste mit Namen, aber wir wissen kaum etwas über die Menschen. Ihre Geschichten verdienen es auch, erzählt zu werden!"
Die Gerüchte um das Weiterleben der Witwe gibt es schon seit dem Tag des Brandes. Denn in den rauchenden Trümmern, begraben unter Belles geliebtem Piano, fand man die Leichen ihrer drei Kinder Lucy, Myrtle und Phillip. Und die verkohlten Reste einer Frau. Nur fehlte deren Kopf. Der Leichenbeschauer vermaß den Körper und kam zu dem Schluß, dass er einer zierlichen Frau gehörte. Nachbarn und Freunde, die zur Identifizierung gebeten wurden, waren sich einig: Das kann niemals Belle sein! Denn die stämmige Norwegerin war 1,83 Meter groß und wog über 90 Kilo. Der Gerichtsarzt nahm die Obduktion vor und untersuchte die inneren Organe. Die kopflose Frau, so sein Ergebnis, war bereits tot, als die Flammen ihren Körper verzehrten. Sie starb einige Tage vorher an einer Dosis Strichnin.
Die Symptome einer Strychnin-Vergiftung
Ihre "Karriere" begann die geborene Brynhild Størsetgjerde wahrscheinlich mit ihrem ersten Ehemann, Mads Sorenson. Der starb am 30 Juli 1900 - dem einzigen Tag, an dem zwei von ihm abgeschlossene Lebensversicherungen überlappten. Der Arzt, der den Tod feststellte, äußerte den Verdacht einer Strychnin-Vergiftung. Doch der Hausarzt der Sorensons gab an, dass Mads unter einem vergrößerten Herzen gelitten hatte und wohl einem Infarkt erlegen war. Belle jedenfalls fühlte sich sicher. Sie gab sogar zu, ihrem Mann "Pülverchen" gegeben zu haben, um seine Gesundheit zu bessern.
Kaum war Mads unter der Erde, ließ Belle sich die Versicherungssumme von 8500 Dollar auszahlen - zu damaligen Zeiten ein Vermögen. Mit dem Geld kaufte sie sich die Farm am Stadtrand von La Porte. Mads und Belle hatten vier Kinder. Zwei davon, Caroline und Axel, überlebten das Kleinkindalter nicht. Sie starben, so die Todesurkunden, an akuter Dickdarmentzündung. Die Symptome - Überkeit, Fieber, Durchfall und Krämpfe - ähneln frappierend denen einer Strychnin-Vergiftung. Beide Kinder waren gut versichert. Belle kassierte erneut.
Auch der Schlachter starb
Und sie blieb nicht lange allein. Am 1. April 1902 heiratete sie den Witwer Peter Gunness. Eine Woche nach der Hochzeit starb Peters kleine Tochter, die er mit in die Ehe gebracht hatte, den plötzlichen Kindstod - als sie mit Belle alleine im Haus war. Doch schnell kündigte sich neuer Nachwuchs im Hause Gunness an. Die Freude währte nicht lange, nur wenige Monate später erlag der werdende Vater einem tragischen Tod. Eine Wurstmaschine fiel aus einem Regal und spaltete ihm den Schädel. Belle strich die 3000 Dollar Lebensversicherung ein und trotzte den Gerüchten in der Stadt. Peter galt als erfahrener Schlachter. Niemand glaubte, dass der Schweinezüchter so ungeschickt mit dem schweren Gerät umgegangen sei. Seine ältere Tochter Jennie Olson vertraute sich einer Klassenkameradin an: "Mammi hat Daddy umgebracht. Sie hat ihn mit einer Axt erschlagen." Kurze Zeit später verschwand Jennie. "Auf ein Internat", erwiderte ihre Stiefmutter barsch, als man sie fragte.
Nun begann Belle, Inserate in den Zeitungen von Chicago und anderen großen Städten des Mittleren Westens aufzugeben: "Ansehnliche Witwe mit großer Farm sucht die Bekanntschaft von ebenfalls gut situiertem Gentleman." Einer nach dem anderen kam nach La Porte, um die Bekanntschaft dieser guten Partie zu machen. Zur Brautwerbung steckten gut gefüllte Brieftaschen in ihren Mänteln. Das Muster war immer das gleiche: Die Freier kamen, spazierten mit Belle zur Bank, zahlten das Geld auf ihr Konto, und verschwanden kurz darauf. So erging es Ole B. Budsburg aus Chicago, Henry Gurholdt aus Scandinavia, Wisconsin, Olaf Svenherud, ebenfalls aus Chicago, John Moo aus Elbow Lake, Wisconsin und Olaf Lindbloom aus Iowa.
Belles Testament
Dieses Leben führte die Witwe ein paar Jahre. Die Probleme begannen Anfang 1908. Da wurde Belle ihr Farmarbeiter Ray Lamphere lästig. Ray war in seine Arbeitgeberin verliebt und tat alles für sie. Lange Zeit ging das gut, dann jedoch wurde Ray immer eifersüchtiger auf die kommenden und gehenden Herren. Er begann, Belle Szenen zu machen. Am 3. Februar feuerte sie den liebestollen Knecht. Stimmen die Vermutungen, witterte sie die Gelegenheit, einen Schlussstrich unter ihre Zeit in La Porte zu ziehen und das heiß gewordene Pflaster zu verlassen: Belle ging zum Sheriff und zu einem Anwalt, um sich dort lautstark über Ray zu beschweren. "Er will mich umbringen!", rief sie immer wieder. Ihr blieb noch genug Zeit, um mit dem Anwalt ihr Testament aufzusetzen. Und um beim Gemischtwarenhändler einige Kanister Benzin einzukaufen. Dann kam das große Feuer.
Noch während aus den Trümmern der Farm der letzte Rauch aufstieg, wurde Ray Lamphere verhaftet angeklagt Belle Gunness und ihre Kinder ermordet zu haben. Als der Sheriff mit einem Dutzend Männer die Ruinen untersuchte, machte er die grausige Entdeckung: Im Schweinekoben fanden die Helfer den Körper von Belles Stieftochter Jennie Olson und zweier weiterer unidentifizierter Kinder. Dort lagen auch die Leichen von Andrew Hegelien. Auch den von Ole B. Budsburg, von Henry Gurholdt, von Olaf Svenherud, von John Moo und den von Olaf Lindbloom. Und viele weitere, deren Namen wohl für immer verloren sind.
Belle in Los Angeles gesichtet
Die lokalen Behörden einigten sich darauf, den Körper unter dem Pinao als Belle zu deklarieren und schlossen die Akte. Doch noch Jahre später erhielt der Sheriff von La Porte Nachrichten aus dem ganzen Land: Man hätte Belle gesichtet. 1931 wurde in Los Angeles eine gewisse Esther Carlson verhaftet, weil sie den norwegischen Einwanderer August Lindstrom vergiftet hatte, um an sein Vermögen zu kommen. Die Person auf dem Vernehmungsfoto hatte frappierende Ähnlichkeit mit Belle Gunness. Doch Esther Carlson starb noch vor ihrer Verhandlung an Tuberkulose. "Sie wäre dann über siebzig Jahre alt gewesen", überlegt Andrea Simmons, "es könnte also durchaus Belle gewesen sein, warum nicht?"
Wenn die Untersuchungen der Forensikerin ergeben, dass es sich bei der kopflosen Toten aus La Porte nicht um Belle handelt, würde sie gerne als nächstes die Gebeine von Esther Carlson exhumieren. Und wenn auch deren DNS nicht mit der Probe vom Briefumschlag übereinstimmt, dann wartet noch eine dritte Möglichkeit auf die Wissenschaftlerin. Denn kurz nach dem angeblichen Tod der "Schwarzen Witwe" zog ihre Schwester Nellie Larson überraschend aus dem Mittleren Westen nach Kalifornien. Hat die Schwester - wohl unfreiwillig - ihre Identität an Belle abtreten müssen? Ihre Urenkelin Suzanne McKay, eine der letzten noch lebenden Verwandten von Belle Gunness, unterstützt das Projekt und arbeitet derweil an einem Buch über ihre berühmte Urgroßtante. "Suzanne liegt viel daran, dass der Fall gelöst wird", sagt Simmons. "Sie war es, die mich letztendlich dazu überredet hat, die angeblichen Überreste zu exhumieren."
Messung der Knochen
Die Suche nach der Wahrheit begann am 5. November vergangenen Jahres. An einem kalten, windigen Tag hob Andrea Simmons gemeinsam mit einigen Studenten auf dem Forest Home Cemetery den Sarg der angeblichen Belle Gunness. Doch statt Antworten fanden sie in dem Grab zunächst nur noch mehr Fragen. Denn der kopflose Körper lag nicht alleine darin. Mit in dem Sarg ruhten die Überreste zweier Kinder. War "Belle" mit ihren Kindern bestattet worden? Wenn ja, warum dann nur mit zweien und nicht mit allen drei? Außerdem waren die Knochen der erwachsenen Frau ungewöhnlich stark. "Auch wenn der Leichenbeschauer, der den Körper nach dem Feuer untersuchte, behauptete, er wäre zu zierlich für Belle gewesen, ergaben unsere Messungen der Langknochen eine Größe, die durchaus im Bereich von 1,80 Metern gelegen haben könnte", sagt Simmons. "Und auch das Alter der Toten stimmt."
Bleibt auch zu prüfen, ob denn ein Kopf, "der schon seit Jahrzehnten in einer Schublade des örtlichen County Museums herumrollt", zum Körper aus dem Grab gehört. "Dieser Kopf gehört nachweislich nicht Belle, das haben Gebissproben ergeben," sagt Simmons. "Wenn wir aber mit DNA-Tests nachweisen können, dass Kopf und Körper zusammen gehören - dann ist auch der Körper nicht von Belle." Die alten Akten helfen bei der Klärung des Falles wenig. "Die haben sich damals noch nicht einmal die Mühe gemacht, die geborgenen Toten zu zählen", beschwert sich Simmons über die schlampige Arbeit ihrer Vorgänger. Die Medien dagegen nahmen den Fall damals genüsslich auf. Die Knochen der Toten wurden öffentlich ausgestellt und gingen später mit der Ringling Brothers Show auf Ausstellung durch das gesamte Land.
Grabsteine für die Opfer von damals
Jetzt heißt es für die Forensikerin erst einmal Warten. "Die Leute glauben immer, dass DNS-Tests so wie im Fernsehen bei CSI oder im Kino eine Sache von wenigen Stunden und überhaupt ganz einfach sind," erklärt Simmons ihre Arbeit. "Dabei gibt es nur wenige Labore in den USA, die überhaupt alte Knochen oder schon lange eingetrockneten Speichel auf nukleare oder mitochondriale DNA testen können." Garantien für ein Gelingen gibt es nicht. "Der Trick dabei ist, DNS zu bekommen, die noch heil genug für eine Sequenzierung ist und Vergleiche ermöglicht."
Mit etwas Glück kann sie jedoch am 28. April diesen Jahres schon Ergebnisse präsentieren. Dann erinnert die Stadt an den 100. Jahrestag des Feuers auf der Gunness-Farm. Die Wissenschaftlerin ist Mitglied im Festausschuss, der eine Vorlesungsreihe organisiert und Spenden sammelt - um endlich Grabsteine auf den Gräbern der damaligen Opfer errichten zu können. "Weder Belles zweiter Ehemann Peter Gunness noch ihre Stieftochter Jennie Olson hat man damals Grabsteine gegeben", entrüstet sich Simmons. "Seit hundert Jahren liegen sie in anonymen Gräbern." Und alle unidentifizierten Opfer warf man einfach in Armengräber. "Wir wissen nicht genau wo, aber da liegen unter anderem noch ein Kleinkind, eine Frau und zwei Teenager unbekannten Geschlechts." Die Opfer der Bluttaten sollen nun wenigstens eine Plakette am Eingang des Friedhofes bekommen, "damit sie auch in weiteren 100 Jahren nicht vergessen werden."