Überfälle in Köln Wie Frauen in Gewaltsituationen richtig reagieren

Eine Männergruppe hat Frauen vor dem Kölner Hauptbahnhof bedrängt, ausgeraubt und sexuell belästigt. Eine Expertin erklärt, was Männer zu solchen Gewaltexzessen veranlassen könnte – und wie sich Frauen im Ernstfall schützen.

Die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht machen viele Menschen sprachlos – und werfen gleichzeitig Fragen auf: Was macht Männern zu Tätern? Wie können sich Frauen vor sexueller Gewalt schützen? Und was ist im Ernstfall zu tun?

Wir haben mit Maja Wegener, Fachbereichsleiterin des Frauenrechtsvereins "Terre des Femmes" gesprochen und sie um ihre Einschätzung des Falls gebeten. Sie beschäftigt sich seit längerem mit dem Thema Gewalt gegen Frauen.

Frau Wegener, in Köln wurden in der Silvesternacht Frauen von einer Männergruppe sexuell belästigt und bestohlen. Sind Ihnen vergleichbare Fälle bekannt?

Nein, in diesem Ausmaß ist uns kein weiterer Fall bekannt. Insbesondere die große Anzahl an Männern erschreckt uns. Leider finden sexuelle Übergriffe immer wieder statt, im öffentlichen Raum insbesondere auf Festen, wo Alkohol getrunken wird. Jeder Fall ist für sich genommen schlimm und dramatisch. Aber das ist nicht neu. Neu an diesem Fall ist, dass wir von einer großen Anzahl an Männern sprechen. Das wirft die Frage auf, wie es so weit kommen konnte.

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Die Ausschreitungen von Köln im Video

Was könnte Männer dazu verleiten, derart massiv gegen Frauen vorzugehen?

Die Täter haben zwei Gewaltformen angewandt: Diebstahl und sexualisierte Gewalt. Über die einzelnen Motive kann man nur mutmaßen. Aber die Art der Übergriffe offenbart das Frauenbild der Täter: Sie sehen Frauen als minderwertig an, als Freiwild und Lustobjekte.

Wie entsteht ein solches Frauenbild?

Frauenbilder entstehen durch Sozialisation in der Familie und in der Gesellschaft. Daher können sich Frauenbilder innerhalb von Gesellschaften auch unterscheiden. Wenn wir von einem kritischen Frauenbild sprechen, haben wir beispielsweise Bilder vor Augen, die uns die Werbung vermittelt. In frauenfeindlicher Werbung werden Frauen sehr sexualisiert, oft halbnackt dargestellt. Kritische Frauenbilder gibt es aber auch in patriarchalen Familienstrukturen, in denen der Mann als Oberhaupt der Familie über das Leben und die Entscheidungen von Frau und Kindern bestimmt. Das alles sind Auslöser, die Männer dazu bewegen könnten, so zu handeln.

Was richtet diese Form der Gewalt bei Frauen an?

Diese Handlungen verängstigen und traumatisieren. Bislang gab es nur rund 90 Anzeigen – und das bei der großen Anzahl an Übergriffen, die es gegeben haben muss. Das zeigt uns, dass dieses Thema noch immer unglaublich schambesetzt ist. Schlimmstenfalls geben die Opfer sich selbst die Schuld an den Übergriffen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Täter gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist auch ein wichtiger Prozess für die Betroffenen. Das zeigt ihnen: Ja, mir ist Unrecht widerfahren, aber der Täter wird zur Rechenschaft gezogen.

Was raten Sie betroffenen Frauen?

Ich finde es zunächst wichtig, dass sie Anzeige erstatten. Auf seelischer Ebene sollten sie sich eine Vertrauensperson an die Seite holen. Das kann der Partner, die beste Freundin oder die Mutter sein. Gemeinsam kann man dann eine Beratungsstelle aufsuchen und mit einer Therapeutin oder Sozialarbeiterin sprechen, wenn der Bedarf besteht.

Was lässt sich im konkreten Fall tun, beispielsweise wenn man von einer Gruppe Männer umzingelt wird?

Frauen sollten um Hilfe rufen. Es ist auch sinnvoll, gezielt Passanten anzusprechen und sie aufzufordern, aktiv zu werden. Sagen Sie Sätze wie: 'Bitte helfen Sie mir! Halten Sie diesen Mann von mir ab! Rufen Sie die Polizei!' Leider fühlen sich Passanten, die solche Szenen beobachten, nicht immer zuständig. Flüchten Sie, wenn Sie die Möglichkeit dazu haben. In Sicherheit können Sie auch selbst die Polizei rufen.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen zählt in Deutschland leider zum Alltag, insbesondere häusliche Gewalt. Was ist in diesem Fall zu tun?

Bei Gewalt rufen Sie unmittelbar die Polizei oder flüchten aus der Wohnung. Sie können sich zunächst auch in ein Zimmer einsperren und so in Sicherheit bringen. Öffnen Sie ein Fenster und rufen Sie laut nach Hilfe. Sollte die Gewalt schon mehrfach stattgefunden haben, können sich Frauen eine Art Notfallplan zurechtlegen: Nehmen Sie beispielsweise mit einem Frauenhaus Kontakt auf und fragen Sie, ob Sie dort unterkommen könnten, falls es wieder zur Gewalt kommt. Mitunter ist auch eine einstweilige Verfügung gegen den Partner sinnvoll. Er wird dann der Wohnung verwiesen und erhält keinen Zutritt mehr. Bei häuslicher Gewalt hilft auch das bundesweite Hilfetelefon. Es ist rund um die Uhr erreichbar. Auf Wunsch können auch Dolmetscher hinzugezogen werden.

Interview: Ilona Kriesl

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