Nach der dramatischen Trennung der Siamesischen Zwillinge aus Lemgo befindet sich Lea, die den 18-stündigen Eingriff überlebt hat, weiterhin auf der Intensivstation. Ihre Schwester Tabea war kurze Zeit nach der erfolgreichen Trennung trotz intensiver Wiederbelebungsversuche gestorben. Die Ärzte des Johns-Hopkins-Kinderhospitals in Baltimore/USA sehen für Lea gute Chancen, die schwierige Trennung am Kopf gut zu überstehen.
Leas Zustand weiterhin stabil
Gut zwölf Stunden nach der operativen Trennung der Zwillinge haben die Ärzte Leas Zustand in einer Pressekonferenz als ernst, aber stabil bezeichnet. "Ihr Herzschlag und ihr Blutdruck sind stabil, sie versucht, die Augen zu öffnen und sich zu bewegen", berichten die Ärzte. "Wir sind optimistisch. Aber man darf nicht vergessen, dass bei einem so komplexen Eingriff jede weitere Entwicklung möglich ist. Wir hoffen, dass Sie alle weiterhin für Lea beten." Lea hatte insbesondere gegen Ende der Operation viel Blut verloren.
"Notfallplan" kam zum Einsatz
Wegen der immer wieder auftauchenden Herzprobleme bei Tabea hatten die Ärzte nach eigenen Angaben zu einem "Notfallplan" wechseln müssen, um die Trennung schnell zu einem Ende zu bringen. Leas Zustand konnte im Anschluss stabilisiert werden, doch auch intensive Wiederbelebungsversuche brachten das Herz von Tabea nicht wieder zum Schlagen. Sie war offensichtlich von Anfang an das schwächere der beiden einjährigen Mädchen. Immer wenn Tabea unter Narkose gestanden habe, sei klar gewesen, "dass die Dinge nicht optimal waren", erklärte der leitende Neurochirug des Eingriffs, Benjamin Carson.
Inzwischen wurde bekannt, dass Tabea in ihrer Heimatstadt Lemgo beigesetzt werden soll. Der Zeitpunkt der Überführung aus den USA stehe jedoch noch nicht fest, sagte der Leiter der mennonitischen Gemeinde der Familie, Nikolai Reimer. Die Bestattung solle im engsten Familienkreis stattfinden.
Vor Lea liegen noch Monate in der Klinik
Sollte Lea überleben, muss sie sich noch einer weiteren Operation zur Rekonstruktion der Schädeldecke unterziehen. Nach Angaben des Krankenhauses wird sie im besten aller Fälle noch mindestens einen Monat in der Johns-Hopkins-Klinik zubringen.
Carson sagte: "Ich spreche für das ganze Team, wenn ich sage, dass wir sehr, sehr traurig über Tabeas Tod sind. Ich denke jedoch, dass die Überlebenschancen der Zwillinge insgesamt mit dem operativen Eingriff besser waren als ohne. Ich bin dankbar für den Mut der Familie. Und wir alle sind voller Hoffnung, dass Lea eine gute Chance auf ein gesundes, unabhängiges Leben hat."
Große Bestürzung in der Heimat
Lemgos Bürgermeister Reiner Austermann reagierte bestürzt auf die Nachricht vom Tod Tabeas. "Natürlich wussten wir um die Risiken dieser Operation. Gleichwohl ist jeder in der Stadt betroffen über den Tod von Tabea. Mein Mitgefühl gilt den Eltern. Und natürlich hoffen wir für Lea", sagte er der dpa.
Die Vorbereitung auf die Trennung der siamesischen Zwillinge hatte am vergangenen Samstag um 11.30 Uhr deutscher Zeit begonnen. Etwa zwölf Stunden später unterbrachen die Chirurgen den Eingriff wegen Tabea. Sie erlitt nach Informationen des "Stern" auf dem OP-Tisch zwei Mal einen Herzstillstand. Die Ärzte gewährten ihr und Lea eine 82-stündige Erholungspause, in der beide Mädchen unter Narkose gehalten wurden. So sollte vermieden werden, dass eventuelle Bewegungen dem bereits geöffneten Hirn der Mädchen schaden.
In der Fortsetzung des Eingriffs gelang es den Chirurgen dann zwar in der Nacht zu Donnerstag, die Mädchen zu trennen. Trotz intensiver Wiederbelebungsversuche verloren die Ärzte jedoch den Kampf um Tabeas Leben. Lea wurde auf die Intensivstation verlegt.
Große Hoffnung für Lea
Ob Lea je ein normales Leben führen wird, könnten schon die kommenden Stunden zeigen. Zu den häufigsten Komplikationen der Trennung gehört ein Koma, sagt der Neurochirurg Ghassan Bejjani von der Universität Pittsburgh. Eine mögliche Behinderung würde sich allerdings erst in Monaten oder Jahren offenbaren. Doch die Chancen für Lea stehen nicht schlecht. Das Hirn sei in ihrem Alter noch so regenerationsfähig, dass die Einjährige selbst einen eventuell bei der Operation erlittenen Schlaganfall im Laufe der Zeit überwinden könne.
Mennonitische Gemeinde ist geschockt
Nicolai Reimer, der Leiter der mennonitischen christlichen Gemeinde, der die Eltern der Zwillinge angehören, reagierte schockiert auf den Tod von Tabea: "Damit haben wir nicht gerechnet." Auch in der Bielefelder Kinderklinik Bethel löste Tabeas Tod Trauer aus. "Wir fühlen mit den Eltern und sind traurig über den Tod der kleinen Tabea", sagte Bethels Vorstandschef Pastor Friedrich Schophaus. "In Bethel denken jetzt viele Menschen an die Familie und wünschen ihr und Lea viel Kraft." Der Betheler Kinderarzt Tilman Polster hatte die Eltern in Baltimore seit Beginn der Operation von Lea und Tabea begleitet.
Der Ausgang des riskanten Eingriffs kommt, so schwer er für die Eltern Nelly und Peter zu verkraften ist, nicht überraschend. Laut Statistik haben Siamesische Zwillinge, die wie Lea und Tabea an der Schädeldecke verwachsen sind, eine Überlebenschance von nur 50 Prozent.