Cocullo, das lässt sich mit ziemlicher Gewissheit sagen, ist eher ein ruhiges Örtchen im Herzen Italiens. Keine 250 Einwohner leben in dem Dorf, das 150 Kilometer östlich von Rom in einem Tal der Abruzzen liegt. Einen Tag im Jahr jedoch vervielfacht sich die Zahl derer, die durch die Gassen des Ortes wandeln. Während im Rest des Landes der Tag der Arbeit gefeiert wird, huldigt man in Cocullo einem mystischen Kult: In einer Prozession wird eine Statue des Heiligen Domenikus durch die Gassen und umliegenden Felder getragen. So weit nicht ungewöhnlich, wären da nicht hunderte lebende Schlangen, die die Dorfbewohner der Statue um den Kopf legen. Tausende Besucher kommen, teils aus dem Ausland, in das kleine Dorf, um der Prozession beizuwohnen – und selbst auch einmal die Schlangen in der Hand zu halten oder zu küssen.
Woher genau der Brauch in Cocullo stammt, ist unklar. Die Verbindung zu den Reptilien existiert bereits seit Jahrtausenden. Vor über 4000 Jahren lebten in der Region die Marser, ein Etruskerstamm, der eine innige Beziehung zu Schlangen pflegte und als Schlangenzähmer berüchtigt waren. Sie huldigten der Göttin Angizia, der nachgesagt wurde, Schlangenbisse heilen und die Reptilien nur durch Berührung töten zu können. Erst deutlich später gab es die Verbindung zu den Katholiken und dem Heiligen Domenikus. Dieser lebte als Eremit im 10. Jahrhundert unweit Cocullos als Kapuzinermönch an einem See. Domenikus soll die Region von einer Schlangenplage befreit haben, indem er giftige Reptilien in Fische verwandelte. Noch heute wird der Mönch in der Region als Schutzheiliger gegen Schlangenbisse und Zahnschmerzen verehrt – und bereits seit 1392 mit der Zeremonie gefeiert, die Schlangen anschließend wieder in die freie Wildbahn gebracht.