Präzise und geschickt vermochten die Neandertaler ihre Hände und Finger zu verwenden. Entgegen bisheriger Annahmen konnten die Frühmenschen die Spitzen von Zeigefinger und Daumen aneinander legen und somit gezielt greifen, wie eine Computersimulation amerikanischer Wissenschaftler ergab. So ein "Pinzettengriff" wird nur von den modernen Menschen und einigen Menschenaffen beherrscht. Bislang hatte man angenommen, dass die Anatomie der Neandertalerhand diesen Griff nicht erlaubt. Dass die Neandertaler von der Erdoberfläche verschwunden sind, ist demnach nicht auf mangelnde Geschicklichkeit zurückzuführen, schreiben die Forscher im britischen Fachblatt "Nature" (Bd. 422, S. 395) vom Donnerstag.
Um die Fingerfertigkeit der Frühmenschen zu untersuchen, scannten Wesley Niewoehner von der California State Universität (San Bernadino/US-Staat Kalifornien) und Kollegen Kunstharzabdrücke von einem fossilen Zeigefinger- und Daumenknochen. Die Knochen waren im französischen La Ferrassie gefunden worden. Aus diesen Aufnahmen entstand im Computer ein dreidimensionales Modell der Finger, das die Wissenschaftler anschließend animierten.
Die Untersuchung zeige, dass sich die Neandertaler in Bezug auf ihre Fingerfertigkeit kaum von den heutigen Menschen unterschieden, schreiben die Wissenschaftler. Sie konnten nicht nur Steinwerkzeuge herstellen, sondern damit vor allem auch geschickt umgehen.
Warum die Neandertaler, die vor etwa 200 000 Jahren die Erde besiedelten, später dennoch ausgestorben sind und dem direkten Vorläufer des modernen Menschen das prähistorische Feld überließen, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Die Theorien reichen von kriegerischen Auseinandersetzungen bis zu schlechterer Anpassung an das Klima. Einige Wissenschaftler hatten vermutet, dass die Neandertaler beim Gebrauch von Werkzeugen oder bei der Nahrungsbeschaffung einfach ungeschickter waren als die überlebenden Jetztmenschen. Diese Hypothese wird aber zunehmend in Zweifel gezogen.