Das faszinierendste an der Medizin war für Wolf Singer stets, "geistige Phänomene mit Hilfe der Naturwissenschaft zu interpretieren". Und hierbei schaut der Hirnforscher tief in den menschlichen Denk- und Lenkapparat: Ihn beschäftigen insbesondere die Grundlagen der Hirnentwicklung. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen dabei die Entwicklung, Struktur und funktionelle Organisation der Großhirnrinde sowie die neuronalen Grundlagen der Wahrnehmung.
Wolf Singer wurde 1943 in München geboren und nahm dort 1962 an der Ludwig-Maximilians-Universität das Medizinstudium auf. Nach seiner Promotion ging er zunächst an die University of Sussex in England und habilitierte 1975 an der Technischen Universität München für das Fach Physiologie. Seit 1981 ist er wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt. Der Neurophysiologe ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und Preise, darunter der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft.
Zitat
"Was wir an Affen erarbeitet haben, lässt sich eins zu eins auf den Menschen übertragen - mit einer Ausnahme: Die Affen reden halt nicht"
Hirnentwicklung bei Kindern
Ein Schwerpunktthema von Singer war die Frage, wie sich Erfahrung auf die Hirnentwicklung bei Kindern auswirkt. Das Ergebnis beschreibt er als "wire together if you fire together". Singer fand heraus, dass aktive Verbindungen im Gehirn des Kindes verstärkt werden. Seine These: Was bis zur Pubertät nicht ausgeprägt worden sei, sei so gut wie verloren. Deswegen spricht er sich dafür aus, dass Kinder so früh wie möglich gefördert werden müssen.
Geisteskrankheiten
Außerdem erforschte Singer die Ursache von Geisteskrankheiten. Durch Zufall entdeckte er auffällige parallele "Erregungsmuster" bei Katzen-Gehirnen. Was zunächst als Störung erschien, wurde zur Lösung eines Problems, das die Hirnforschung lange beschäftigt hatte: Wie kommunizieren unterschiedliche Hirnregionen miteinander? Singer bewies mit seinen Studien, dass Neuronen sich zu einer Gruppe zusammenfinden, indem sie die Frequenz ihrer Schwingung synchronisieren. Heute arbeitet er unter anderem an der Frage, ob Schizophrenie dadurch entstehen könnte, dass die Rhythmisierung aus dem Takt gerät.