Knut-Ziehvater Dörflein "Ich war völlig neben mir"

Fünf Monate hat Tierpfleger Thomas Dörflein im Berliner Zoo fast rund um die Uhr Eisbär Knut mit der Flasche großgezogen. In einem Interview erinnert sich Dörflein an magische und glückliche Momente, aber auch an Ängste und Krisen.

Herr Dörflein, was dachten und fühlten Sie, als Sie Knut und seinen kleinen Bruder unmittelbar nach der Geburt das erste Mal gesehen haben?

Meine Gefühle? Die Mutter hat die beiden Jungen im Gegensatz zu den beiden letzten Malen vor der Höhle bekommen. Da habe ich fünf Stunden gewartet, dass sie anfangen, bei ihr zu saugen. Die Mutter hat sich schon sehr bemüht, sie hat sich aufrecht hingesetzt, hat die Jungen zur Brust geführt. Die Hoffnung ist dann irgendwann versiegt. Da war die Hilflosigkeit der beiden. Das ist doch ganz klar, ein menschlicher Instinkt, dass man da unbedingt helfen will und muss.

Sie haben dann beide von Mutter Tosca weg und zu sich gezogen. Sie kümmerten sich fortan rund um die Uhr. Knuts Bruder ist aber nach vier Tagen gestorben. Wann war für Sie dann zum ersten Mal diese besondere Beziehung zu Knut spürbar?

Da hat man gar keine Zeit, sich irgendwelche Gedanken zu machen. Ich war völlig neben mir. Wenn man wenig Schlaf hat, entstehen nicht irgendwelche tiefen Gefühle. Man arbeitet durch und reagiert nur. Man freut sich dann, dass der Bär die Milch nimmt und immer mehr nimmt. Eine tiefere Beziehung ist erst entstanden, als die Augen sich geöffnet haben. Nach drei bis vier Wochen ist das eine Auge aufgegangen, das linke, und eine Woche später ist das andere aufgegangen. Das war natürlich ein Moment, wenn so ein Tier einen anguckt, das ist schon etwas anderes als vorher.

Sie sind dem Bären immer am nächsten gewesen. Wie erklären Sie sich eigentlich, dass Knut weltweit diese Sympathiewelle ausgelöst hat?

Das können Sie sich doch denken, Sie sind doch mit dran schuld, dass es so weit gekommen ist. Wenn es nicht die Presse und vor allem das Internet gäbe, dann wäre es nie so groß geworden. Ich habe hier ein Buch von einer Frau, die in den 60er Jahren das Gleiche in der Schweiz gemacht hat. Da wurde ein Buch gedruckt, und das blieb in der Schweiz. In den 80er Jahren hat es jemand in Hamburg gemacht, aber alles zu Zeiten, wo es noch nicht das Internet gab.

Wie lange sind Sie schon im Zoo beschäftigt? Und war es eine Vorliebe für Bären, dass Sie sich Knut annahmen?

Seit 25 Jahren. Drei Jahre Lehrzeit, zwei Jahre noch woanders gearbeitet, bei den Menschenaffen. Seit 18 oder 19 Jahren betreue ich Bären. Es sind meine Lieblingstiere. Da rutscht man so rein, und glücklicherweise bin ich hier reingerutscht. Es hätte schlimmer kommen können. Es ist schön hier. Viel mit den Tieren zu tun zu haben, ist sowieso sehr wichtig.

Mussten Sie mehr zum Bären werden, oder der Bär mehr zum Menschen?

Man sagt mir sowieso nach, dass ich sehr eigenartig bin, also sehr verschlossen. Ich musste mich nicht ändern, und er musste sich auch nicht ändern. Das sind so Sachen, das entsteht von ganz alleine. Der Bär hat keine Wahl, und ich habe mich auch nicht verändert. Na ja, ich genieße nicht gerade, unter vielen Leuten zu sein.

Sie sind jemand, der bewundert und geachtet wird. Wie haben Sie das Millionen-Publikum bei den Knut-Shows empfunden?

Ich habe die oft gar nicht gesehen. Ich habe darauf geachtet, dass jeder den Bären sehen kann. Zu Anfang war es für mich schwierig, ganz klar. Aber man wächst in solche Sachen rein. Später habe ich mir auch oft mal Leute angeschaut. Das ist faszinierend, was dieser Bär in den Leuten ausgelöst hat. Wie die geguckt haben, die Leute, die waren glücklich und oft völlig entrückt.

Sie sind in der Öffentlichkeit zum Frauenschwarm geworden, erhalten viele Heiratsanträge.

Das ist mir sehr befremdlich.

Ist das zwischen Ihnen und Knut wie eine Vater-Sohn-Beziehung?

Natürlich ist das das Besondere. Obwohl ich das jetzt nicht als Vater-Sohn-Beziehung sehen würde. Er hat ja auch keinen anderen. Er hat ja nicht die Wahl gehabt.

Sie sind ja auch auf bemerkenswerte Ideen gekommen und hatten Hilfe Ihrer Partnerin. Wie war das mit Knut-Schlafliedern von Elvis Presley, die Sie vorgesungen haben, und Besuchen von Ihrer Freundin und deren Sohn zu Weihnachten und Silvester?

Das kommt aus der Situation heraus. Ich meine, ich sitze hier fünf Monate, und es ist ja nichts und niemand anderes da. Ich spiele natürlich Gitarre, und er ist dabei. Das habe ich mir jetzt nicht extra überlegt.

Mit Knut wird auch Geld verdient. Reizt Sie die finanzielle Chance? Nein, ich verdiene hier genug. Ich habe Angebote für Werbung und zu TV-Auftritten. Aber bei Kerner, Jauch, Beckmann oder Maischberger, das ist mir ein Graus. Das bin ich nicht. Ich sehe mich da nicht sitzen. Es ist toll gelaufen, das reicht mir.

Sie sind ein glücklicher Mensch.

Ja, das kann man sagen.

DPA
Interview: Hans-Rüdiger Bein und Kirsten Baukhage/DPA

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