Meeresbiologie Was macht das Watt ohne Wattwurm?

Nils Volkenborn vertreibt täglich jede Menge Wattwürmer aus dem Sand um Sylt. Ein Langzeit-Forschungsprojekt, das bis zum Jahr 2010 dauert, untersucht, wie sich das Wattenmeer ohne den nimmersatten Wattwurm entwickelt.

Es plätschert leise, und es knatscht bei jedem Schritt. Einen zweirädrigen Karren hinter sich herziehend, bepackt mit Fang- und Forschungsutensilien, stapft Wattwurmforscher Nils Volkenborn (30) durch den Schlick am Sylter Ellenbogen. Der Königshafen, so heißt die Bucht, "ist wahrscheinlich das am besten untersuchte Wattgebiet der Welt", sagt der Meeresbiologe. Der junge Doktorand gehört zur Wattenmeer-Forschungsstation des Alfred-Wegener- Instituts (Bremerhaven) in List auf Sylt. Er widmet sich für seine Doktorarbeit speziell der Frage, wie sich das Wattenmeer ohne den nimmersatten Wattwurm entwickelt. "In ein paar Jahren bin ich vielleicht Professor der Wurmologie", witzelt er.

Die meisten Würmer sind abgewandert

Das Langzeit-Forschungsprojekt "Watt mit und Watt ohne Wattwurm" dauert bis 2010. Dafür hat Forscher Volkenborn vor zwei Jahren begonnen, das "Wappentier" des Wattenmeeres auf sechs kleinen Flächen von zusammen 2400 Quadratmetern systematisch aus seinem lebenswichtigen Revier zu vertreiben. Und das auf möglichst sanfte Methode. "Wenn sicher auch viele gestorben sind", ausgerottet wird der Lugworm (englisch) oder Arenicola marina (lateinisch) durch die Untersuchungsmethode auf begrenzten Flächen beileibe nicht. "Die meisten sind abgewandert."

Um den bis zu 20 Zentimeter langen Wurm wegzukriegen, hat der Biologe in acht Zentimetern Tiefe Gitternetze in den Wattboden eingegraben. An diesen Stellen kringelt sich keiner der signifikanten Sand-Kothaufen mehr. Auch die trichterförmigen Pfützen bleiben aus, die auf den ungezügelten Hunger der Würmer nach Sand hinweisen. Normalerweise ist der Wattboden übersät mit diesen charakteristischen Lebensspuren des fetten Wurmes, der für Angler ein äußerst beliebter Köder ist.

Bis zu 40 Würmer pro Quadratmeter

Der Wurm, auch "Ingenieur" im Ökosystem Watt genannt, versteckt sich in bis zu 30 Zentimeter tief liegenden U-förmigen Röhren. Von ihm wird jedes Jahr der obere Zentimeter des Wattbodens mehr als 20 Mal aufgefressen. Bis zu 40 Exemplare des braunen, schwarzen oder tiefroten Wurmes leben pro Quadratmeter. Die Würmer müssen sehr viel Sand durch ihren Körper schleusen, dabei futtern sie die enthaltenen mikroskopisch kleinen Algen und Bakterien. Da das eher leichte Kost ist, können die Würmer nur über die Masse den Nahrungsbedarf stillen.

Die Wattwurm-Wühltätigkeit bleibt nicht ohne Folgen. Viele andere Tiere meiden Gebiete, in denen der Wurm sein Unwesen treibt. Für sie sind die Lebensbedingungen zu unruhig. Ihre eigenen Wohnröhren werden zerstört oder sie selbst in die Tiefe der Wattwurmröhren gerissen, aus der es kein Entrinnen gibt. Allerdings profitieren andere Organismen von der Durchlüftung des Wattbodens. In der Kraterlandschaft bleiben bei Ebbe Pfützen zurück, die vielen Organismen ein gutes Versteck bieten.

Häufig wurde vermutet, dass das Watt ohne Wurm anders aussehen würde. Das bestätigen erste Analyse-Ergebnisse Volkenborns und weiterer Wissenschaftler der Wattenmeerstation. Auf den Ausschlussflächen siedelt sich inzwischen zum Beispiel der Schillernde Seeringelwurm an, "der ganz anders lebt als der Wattwurm", sagt Volkenborn. Der Ringelwurm ernährt sich von Mikroalgen der Sedimentoberfläche und dient Seevögeln eher als Futter als der im Sand vergrabene Wattwurm. Da im nun wattwurmlosen Gezeitenboden Ruhe herrscht, kommt es zur stärkeren Verschlickung. Es bilden sich Algenblüten auf der Oberfläche. In den nächsten Jahren wird untersucht, wie winzige Bakterien, Kieselalgen oder große Wattvögel auf die veränderten Flächen reagieren.

Friedhelm Caspari, DPA

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