Beim plötzlichen Kindstod sterben völlig unerwartet augenscheinlich gesunde Kinder. Im Jahr 2005 starben in Deutschland 323 Babys am plötzlichen Kindstod. Die Forscher haben herausgefunden, dass das Notfallprogramm im Atemkontrollsystem des Gehirns, das dem Körper bei Sauerstoffmangel den Befehl zum Luftschnappen gibt, vom Gehirnbotenstoff Serotonin abhängig ist. Durch dieses Notfallprogramm wird der akute Sauerstoffmangel ausgeglichen und der normale Atemrhythmus wiederhergestellt. Nur wenn ausreichende Mengen Serotonin zur Verfügung stehen, können die zuständigen Nervenzellen im Notfall die Atemsteuerung übernehmen und die Schnappatmung veranlassen. Jan-Marino Ramirez von der Universität von Chicago und seine Kollegen berichten über ihre Entdeckung in der Fachzeitschrift "Journal of Neuroscience" (Bd. 26, Nr. 10).
Nervenzellen veranlassen Notfallatmung
Bereits vor eineinhalb Jahren entdeckten Forscher das Notfallprogramm der Atemsteuerung, das in einer Krise die Kontrolle übernimmt. Dieses Notfallprogramm funktioniert beim plötzlichen Kindstod nicht richtig, vermuteten die Wissenschaftler. Verantwortlich für dieses Notfallprogramm ist eine bestimmte Gruppe von Nervenzellen. Herrscht Sauerstoffmangel vor, öffnen diese speziellen Nervenzellen ein schleusenartiges Eiweißmolekül, einen Ionenkanal, in ihrer Zellmembran und lassen geladene Natriumteilchen einströmen. Dies konnten Forscher erst im Februar dieses Jahres nachweisen. Dieser Natriumstrom veranlasst letztlich eine Signalkaskade, die bewirkt, dass die Muskulatur der Atemorgane sich ruckartig zusammenzuzieht. Die Folge: Einerseits strömt mehr Sauerstoff in die Lungen und andererseits wird das Bewusstsein von der Krise in Kenntnis gesetzt.
Ebenfalls schon bekannt war, dass im Gehirn der Kindstod-Opfer der Serotoninspiegel häufig deutlich erniedrigt ist. Doch erst jetzt gelang es Ramirez und seinen Kollegen, beide Befunde miteinander zu verbinden: Das Serotonin reguliert die Schleusenproteine in den Steuerzellen des Notprogramms, wiesen die Wissenschaftler nach. Fehlt den Zellen der Botenstoff, reduziere sich die Anzahl der keuchenden Atemzüge bei Sauerstoffmangel von den normalen 20 auf lediglich 2 oder 3 - und die reichten nicht aus, um beispielsweise ein schlafendes Baby aufzuwecken, betonen die Forscher.
Im Notfall kommt es auf den Serotoninspiegel an
Die Ergebnisse zeigten, dass ein zu niedriger Serotoninspiegel unter normalen Umständen keinen Einfluss auf den Atemrhythmus eines Babys hat, schreiben die Forscher. Kommt es jedoch beispielsweise beim Schlafen auf dem Bauch oder durch eine Blockierung der Atemwege zu akutem Sauerstoffmangel, gibt die für das regelmäßige Atmen zuständige Kontrollinstanz die Steuerung an das Notfallprogramm ab. In einem solchen Moment hängt die Atemkontrolle dann ausschließlich von den Notsteuerzellen ab - und die arbeiten nur bei ausreichender Serotoninkonzentration. Möglicherweise könnte demnach die Bestimmung des Serotoninspiegels einmal dabei helfen, gefährdete Kinder zu identifizieren und gezielt zu überwachen.
DDP